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Flurnamen als Quelle der Heimatforschung

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Konnex - „Zeitschrift für Regional- und Heimatforschung Sachsen-Anhalt“ (Nr. 2, 2023)

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Bildung & Vermittlung Geschichte Heimatforschung & Ortschronik

Flurnamen, als Benennungen von Flächen und kleineren Objekten außerhalb geschlossener Siedlungen (darauf laufen die Definitionen im Wesentlichen hinaus), sind nur mit großem Aufwand zu erforschen. Für die Gemarkung jeder Ortschaft gilt es, eine größere Zahl von Namen aus verschiedenen Quellen zusammenzutragen, zu strukturieren und herauszufinden, was in ihnen steckt.

Die Wissenschaft beschäftigt sich mit Flurnamen schon seit langer Zeit, und zwar aus unterschiedlichen Perspektiven: Zunächst sind Namen sprachliche Phänomene, und Namenforschung ist ein Teil der Sprachwissenschaft. Infolge ihrer engen Verbindung mit der lokalen Geografie sind Flurnamen aber auch für siedlungsgeschichtliche und archäologische Forschungen interessant (Abb. 1–3), wenngleich sie hierbei nicht so häufig berücksichtigt werden, wie es möglich und angebracht wäre. Die lokale Verankerung bringt es mit sich, dass Flurnamen ein klassisches Thema für Heimatforscher oder – wie man sie heute nennt – Citizen Scientists bzw. Bürgerwissenschaftler:innen sind. Das kann, muss aber nicht zwangsläufig zu guten Ergebnissen führen, weil ohne sprachwissenschaftliche Ausbildung eine Deutung vieler Namen leicht in die Irre führen kann.

Abb. 1: Der Eichbusch liegt markant in der ansonsten waldfreien Elbaue bei Trebitz, Kr. Wittenberg.

Abb. 2: Nur der Name Weinberg zeugt noch von der früheren Nutzung dieses Hangs bei Ateritz, Kr. Wittenberg.

Abb. 3: Der Rote Born in der Dübener Heide trägt seinen Namen zu Recht – die Färbung wird durch eisenhaltiges Wasser verursacht.

Große Sammlungsaktionen, die für ganze Länder unternommen wurden, blieben in den meisten Fällen stecken. Wurden die Sammlungen auch noch zusammengetragen und archiviert, so ließ sich die beabsichtigte Auswertung und Publikation aber nicht umsetzen, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, dass es sich leicht um eine sechsstellige Anzahl von Namen handeln kann. Für Sachsen-Anhalt und große Teile Thüringens, Nordwestsachsen und des südwestlichen Brandenburgs – entsprechend den Grenzen der preußischen Provinz Sachsen im 19. Jahrhundert – existiert eine umfängliche handschriftliche Sammlung, die aus den Unterlagen der Agrarreformen (Separationen),1 den so genannten Feldwannenbüchern, Historischen Messtischblättern und Wüstungsbüchern besteht und im Archiv des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie aufbewahrt wird.2 Da es im Mittelalter und der Frühen Neuzeit nur selten notwendig war, Flurnamen – im Unterschied zu Ortsnamen – schriftlich festzuhalten, stehen uns aus diesen Zeiträumen nur wenige Belege zur Verfügung. Eine entsprechende Suche ist aufwendig und, wenn sie nicht zielgerichtet in bestimmten Beständen erfolgt, nur wenig ergiebig.

Diese Umstände bringen es mit sich, dass regionale Bearbeitungen von Flurnamen nur sehr schütter über das Land verteilt sind – nicht nur in Sachsen-Anhalt. Zudem unterliegen sie nur in geringem Ma. einheitlichen Bearbeitungsprinzipien und sind in unterschiedlichen Zeiträumen entstanden (vgl. im Literaturverzeichnis Rubrik 1). Daher sind die vorliegenden Arbeiten aus heutiger Sicht von unterschiedlicher Güte und Brauchbarkeit, und nicht alles, was in ihnen zu finden ist, entspricht dem heutigen Stand der Forschung. Kritisch zu sehen sind insbesondere Rückgriffe auf ferne Vergangenheiten wie z. B. das frühmittelalterliche Thüringerreich, das auch den Süden unseres Landes umfasst hat und bereits im Jahr 531 zerstört wurde. Ereignisse, Personen und Strukturen (wie z. B. „St.mme”) einer so frühen Zeit haben sich in den Flurnamen unseres Landes nicht erhalten!3

In den allermeisten Fällen wurden Flurnamen in der Kommunikationsgemeinschaft der Dorfgemeinde (bzw. der Stadt) gebildet und gebraucht, um eine Verständigung über die Orientierung und das Wirtschaften zu ermöglichen.4 Entsprechende Benennungen konnten sich schnell ändern, wenn es zu Wandlungen der Feldeinteilung o. ä. kam. Sie können aber auch über Jahrhunderte hinweg weitgehend stabil bleiben. Davon zeugen in unserem Land insbesondere zwei sprachliche Gruppen, die jeweils ein sogenanntes Substrat, also eine ältere Schicht im Untergrund, bilden. Das ist zum einen die Sprache der früheren slawischen Bewohner:innen, die nicht nur die Gebiete östlich von Elbe und Saale umfasste, sondern auch weite Teile der Altmark und Regionen westlich der Saale. Diese Sprache erlosch zwar noch im Laufe des Mittelalters, hat aber eine größere Zahl von Flurnamen hinterlassen, wie z. B. Briesen, Bresen, Brösen u. ä., Zschornen und Jeeser (aus altsorbisch *breza ‚Birke’, *čorn ‚schwarz’ bzw. *jezer(o) ‚See’), die z. T. bis heute verwendet werden. In den entsprechenden Gebieten sind – was aber nur ein sehr grober Richtwert ist – etwa 2 bis 5 Prozent der Flurnamen slawischen Ursprungs. Verbreiteter ist das zweite sprachliche Substrat, das Niederdeutsche, das ein solches freilich nur im Süden und der Mitte unseres Landes bildet, während es im Norden noch immer lebendig ist: Die Verbreitung des Niederdeutschen hat sich jahrhundertelang reduziert.5 Noch Martin Luther ist z. B. in Mansfeld und Eisleben in einem weitgehend niederdeutschen sprachlichen Umfeld aufgewachsen, aber schon zu seiner Zeit sprachen die Menschen vermehrt mittel- bzw. hochdeutsch. Auch dort, wo dieser Sprachwechsel schon lange Geschichte ist, finden sich bis heute Flurnamen, die niederdeutsche Lautungen bewahren wie z. B. Beck u. ä. aus beke ‚Bach’ und Biese aus bēse ‚Binse’. Verbreitet sind auch Wische, Lache, Kolk und andere.

Von diesen Substraten abgesehen, folgen die Flurnamen zumeist den Mundarten bzw. regionalen Umgangssprachen. In vielen Fällen sind Bildungen wie Lehmberg, Kirchfeld usw. anhand der Lageverhältnisse leicht nachzuvollziehen und zu erklären. Es gibt jedoch auch zahlreiche Fälle, die undurchsichtig bleiben und an denen sich auch die Sprachwissenschaft erfolglos die Zähne ausbeißt. Manche dieser Namen wurden vielleicht einfach nur fehlerhaft aufgeschrieben und dadurch entstellt, was sich nicht mehr rekonstruieren lässt. Bei der Erklärung schwieriger Namen ist deshalb Demut angebracht – es handelt sich (wie aber letztlich bei allen Erkenntnissen der Wissenschaft) nur um Hypothesen, die bei einer verbesserten Datenlage leicht durch bessere Überlegungen ersetzt werden. Das ist aber kein Freibrief für fantastische Theorien! Man tut gut daran, den Kampf mit unklaren Namen nicht bis zu wilden Spekulationen zu treiben, sondern ab einem gewissen Punkt aufzugeben.

Hierbei ist auf den Bearbeitungsstand zurückzukommen. Essenziell für eine erfolgreiche sprachliche Erklärung ist der Nachweis, dass es ähnlich zu beurteilende Namen auch anderswo gibt, wobei es auf einen gleichen sprachlichen Kontext ankommt. Für Namen in der Umgebung von Merseburg z. B. sind gleich lautende Benennungen in der Altmark wenig relevant, diese können dort ganz andere Ursprünge haben als im Saalegebiet. Lohnender ist jedoch eine Suche in Flurnamenlexika, die Gebiete im Leipziger Raum oder in Thüringen zum Gegenstand haben. Zwar liegen auch für die Nachbargebiete einige regionale Flurnamenarbeiten vor (vgl. im Literaturverzeichnis Rubrik 2), dennoch ist auch hier die Situation nicht anders als in Sachsen-Anhalt. Einzig das im Prozess der Digitalisierung befindliche Thüringische Flurnamenarchiv, das aus wissenschaftsgeschichtlichen Gründen auch für das südliche Sachsen-Anhalt zuständig ist, bietet reicheres Material (https://flurnamen.projekte.thulb.uni-jena.de/projekt/ herzlich-willkommen).6 Dennoch bleiben viele Namen isoliert, die man ohne ähnliche Benennungen nur schwer erklären kann. Abhilfe ist nur zu schaffen, wenn sukzessive Sammlungen und Untersuchungen entstehen, die mehr Vergleichsmaterial zur Verfügung stellen.

Die wichtigsten bereits vorliegenden Flurnamenuntersuchungen sind:

1. Für Gebiete in Sachsen-Anhalt:

— Bathe, Max: Die Herkunft der Siedler in den Landen Jerichow. Erschlossen aus der Laut-, Wortund Flurnamen-Geographie. Halle (Saale) 1932.

— Bathe, Max: Flurnamengeographie als Flurnamenforschung. In: Sachsen und Anhalt. Jahrbuch der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt 12 (1936), S. 50–82.

— Bode, Friedrich: Ehemaliger Weinbau im östlichen Teile des Regbez. Merseburg u. angrenzenden Bezirken. In: Archiv für Landes- und Volkskunde der Provinz Sachsen nebst angrenzenden Landesteilen 19 (1909), S. 83–90.

— Bode, Friedrich: Eine Auslese von Flurnamen aus den Kreisen Bitterfeld und Delitzsch und aus ihnen benachbarten Bezirken. In: Archiv für Landesund Volkskunde der Provinz Sachsen nebst angrenzenden Landesteilen 20 (1910), S. 81–124.

— Brink, Claudia: Die Flurnamen des Kreises Haldensleben (unter Berücksichtigung kommunikativer Gesichtspunkte). Phil. Diss. Leipzig 1988.

— Burghardt, Werner: Die Flurnamen Magdeburgs und des Kreises Wanzleben (Mitteldeutsche Forschungen 41). Köln, Graz 1967.

— Döll, Manfred: Die Flur- und Gewässernamen des Saalkreises und der Stadt Halle. [Halle (Saale) 1994].

— Hansen, Albert: Die Namenlandschaft zwischen Ober-Aller und Sarre (Bode). Aus dem Nachlass herausgegeben von Max Bathe, 1. Halbband (Die Magdeburger Börde. Veröffentlichungen zur Geschichte, Natur und Gesellschaft 5). Ummendorf 1965.

— Schmidt, Friedrich: Flurnamen in Nordthüringen (Kreis Sangerhausen, Kreis Grafschaft Hohnstein). In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Naturwissenschaft in Sangerhausen und Umgegend 22 (1932), S. 3–50; 24 (1934), S. 3–35; 25 (1935), S. 3–48; 26 (1939), S. 5–72; 27 (1941), S. 3–59.

— Zschieschang, Christian: „Das land tuget gar nichts.“ Slaven und Deutsche zwischen Elbe und Dübener Heide aus namenkundlicher Sicht (Namenkundliche Informationen, Beiheft 22). Leipzig 2003, inkl. CD-ROM.

2. Für benachbarte Gebiete (zum Vergleich):

— Aehnlich, Barbara: Flurnamen Thüringens. Der westliche Saale-Holzland-Kreis. Hamburg 2012.

— Eichler, Ernst: Flurnamen des Delitzscher Landes. Delitzsch 1965.

— Meineke, Eckhard (Hg.): Perspektiven der thüringischen Flurnamenforschung. Frankfurt (Main)
u. a. 2003.

— Müller, Erhard: Die Flurnamen des Kreises Heiligenstadt. Leipzig 1986.

— Namenkundliche Informationen, Beiheft 8.

— Naumann, Horst: Die Orts- und Flurnamen der Kreise Grimma und Wurzen (Deutsch-Slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte 13). Berlin 1962.

— Scheuermann, Ulrich: Flurnamenforschung. Melle 1995.

— Bausteine zur Heimat- und Regionalgeschichte, Schriften zur Heimatpflege 9.

Alicia Gauter

ist Germanistin und arbeitet seit 2023 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Niederdeutsch in Sachsen-Anhalt (NiSA)“ an der Universität Magdeburg. ⇆ alicia.gauter@ovgu.de

Dr. Christian Zschieschang

ist Namenforscher am Serbski Institut / Sorbischen Institut Bautzen und Cottbus, und Mitglied im Arbeitskreis Sprache und Flurnamenforschung des Landesheimatbundes Sachsen-Anhalt e. V. Er lebt in Lutherstadt Wittenberg. ⇆ christian.zschieschang@serbski-institut.de

  1. 1)

    Vgl. dazu: Annett Rose: Karten aus der ganzen Welt und was sie über die Geschichte von Dammendorf mitteilen. In: Konnex 1 (2024), S. 62–75; Christian Zschieschang: Flurnamen sammeln – aber wie? In: Sachsen-Anhalt-Journal. Heimat bewegt 32 (2022), Heft 2, S. 18–20, online: https://journal.lhbsa.de/cpt-articles/flurnamen-sammeln-aber-wie/ (31.01.2025).

  2. 2)

    Vgl. Gustav Reischel: Die Historische Kommission für die Provinz Sachsen und den Freistaat Anhalt und ihre Karten- und Wüstungswerke. In: Sachsen und Anhalt. Jahrbuch der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt 1 (1925), S. 344–386, hier: 344–348.

  3. 3)

    Vgl. u. a. die Kritik bei Matthias Springer: Die Sachsen (2004), S. 110; Matthias Springer: Art. Umsiedlung. In: Hoops RGA 35 (2007), Sp. 302–308 sowie Christian Zschieschang: Das Hersfelder Zehntverzeichnis und die frühmittelalterliche Grenzsituation an der mittleren Saale. Eine namenkundliche Studie. In: Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 52 (2017), S. 173.

  4. 4)

    Vgl. Christian Zschieschang: Die Mark Schmelz in der Dübener Heide. Ein Exempel in Sachen Flurnamenforschung. In: Namenkundliche Informationen 112 (2020), S. 419–450, online: https://doi.org/10.58938/ni631 (13.05.2024).

  5. 5)

    Vgl. Karl Bischoff: Sprache und Geschichte an der mittleren Elbe und der unteren Saale (Mitteldeutsche Forschungen 52). Köln, Graz 1967, S. 219–280; Karl Bischoff: Zur Geschichte des Niederdeutschen südlich der ik/ich-Linie zwischen Harz und Elbe (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse 102, Heft 6). Berlin 1957.

  6. 6)

    Siehe dazu u. a. der Beitrag von Barbara Aehnlich, Petra Kunze, David Brosius: Alte Flurnamen neu gedacht: Neues vom Thüringischen Flurnamenportal. In: JeNamentagung: Alte Namen neu gedacht (2023), online: https://doi.org/10.22032/dbt.58976 (03.06.2024).