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Was tun bei Wachsstumsschmerz?

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Sachsen-Anhalt-Journal - „Biografie“ (Nr. 3, 2023)

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Themen

Bildung & Vermittlung Dorfmitte & Soziokultur Jung & Alt

Die Jugend findet Ehrenamt öde. Die alte Garde will alles machen wie bisher: Sachsen-Anhalts Vereine sind im Wandel. Ganz ohne Anstrengungen von beiden Seiten wird die Verjüngungskur aber nicht gelingen.

Babyboomer, Gen X, Millennials, Gen Z – der Kulturkampf der Generationen ist ein Lieblingsthema der Feuilletons. Auch für Heimatvereine in Sachsen-Anhalt ist das konstruktive Miteinander von Jung und Alt zur Gretchenfrage geworden. Manche Vereine drohen an Überalterung einzugehen, andere suchen aktiv nach Wegen, um jüngere Menschen in gewachsene Vereinsstrukturen zu integrieren. Einige Vereine haben den Nachwuchs angesichts des demografischen Wandels gar zum Kernthema ihres Ehrenamts erklärt. Das Sachsen-Anhalt-Journal hat drei Vereine besucht, die sich ihren Wachstumsschmerzen stellen.

„‚Das haben wir aber noch nie gemacht‘ darf kein Totschlagargument sein.“

Martin Kütz, Heimatverein Plötzky

Martin Kütz ist niemand, der lange um den heißen Brei herumredet. Zurzeit ist das Glas eher halb leer in Plötzky: „Das Problem unseres Heimatvereins ist, dass unser Durchschnittsalter weit jenseits der 60 Jahre liegt“, schildert der Vereinsvorsitzende gleich zu Anfang des Gesprächs mit dem Sachsen-Anhalt-Journal die Situation in dem ostelbischen Schönebecker Stadtteil. Und tatsächlich geht aus einer E-Mail, die der frühere Wirtschaftsinformatikprofessor einige Tage später nachreicht, hervor, dass das Medianalter in dem Verein bei 69 Jahren liegt. Martin Kütz sitzt in der neuen Heimatstube, auf die sich zurzeit ein Großteil der Energie der Vereinsmitglieder konzentriert.

Vor drei Jahren hat der Heimatverein die Räume im Bürgerhaus in der Ortsmitte bezogen und gerade sind die Vereinsmitglieder dabei, die unzähligen Ausstellungsstücke in Regalen zu präsentieren. Die Heimatstube soll Dorfarchiv zum Anfassen und Dokumentationszentrum in einem sein, stellt der Vereinsvorsitzende sich vor. Ein Sammelsurium unterschiedlicher Kuriositäten kann der im Jahr 2000 gegründete Verein inzwischen sein Eigen nennen: Eierbecher, Küchenutensilien, Kittelschürzen und Damenkleider aus DDR-Zeiten, Haushalts- und Landwirtschaftsgeräte aus der Kaiserzeit, sowie alte Rechen- und Schreibmaschinen, deren Verwandtschaft mit heutigen Computern man sich kaum noch vorstellen kann. Hier und da finden noch kleinere Bauarbeiten in der Heimatstube statt, aber das gemütliche Durcheinander historischer Exponate lässt schon sehr gut erahnen, wie es in Plötzkys heiligen Hallen bald aussehen wird.

Vereinsvorsitzender Martin Kütz vom Heimatverein Plötzky macht sich Sorgen um die Altersstruktur in seinem Verein.

Weg von Vergangenem, hin zu Zukünftigem

Aber was kommt dann? „Im nächsten Jahr werden sicherlich die ersten Fragezeichen an die Wand gehängt. Dem Verein steht meiner Meinung nach eine Öffnung nach außen bevor“, ist sich Martin Kütz sicher, und dieser neu ausgerichtete Blick – zum einen ins Dorf hinein, aber zum anderen auch weg von Vergangenem, hin zu Zukünftigem – werde sicherlich nicht völlig konfliktfrei ablaufen. Der Heimatverein Plötzky Ostelbien e.V. durfte sich in diesem Jahr zwar über 14 Neumitglieder freuen – auf Initiative eines 40-jährigen Vereinsmitglieds sei nämlich dessen ganze in Dorf ansässige Familie in den Verein eingetreten – trotzdem verrät die Statistik, dass knapp drei Viertel der Vereinsmitglieder im Rentenalter sind. „Zum Thema Verjüngung müssen wir in den nächsten Jahren also noch einiges tun“, ist sich Martin Kütz bewusst. Ansonsten stehe seinem Heimatverein ein ähnliches Schicksal bevor wie jenes, das andere Vereine des Ortes mit seinen rund 1000 Einwohner: innen bereits ereilt hat: „Angelverein, Fußballverein und Freiwillige Feuerwehr hatten alle keinen Nachwuchs mehr. Und so ist das Plötzkyer Vereinsleben förmlich den Bach runter gegangen“, fasst Martin Kütz die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte zusammen.

Über Nachwuchsprobleme könne der Pelzkocher- Verein im Allstedter Ortsteil Nienstedt nicht klagen, erzählt der Vereinsvorsitzende Christian Lehnhardt während einer Ortsbegehung. Neben ihm steht der 22-jährige Max Wolfram, der seit vier Jahren als Mitglied in dem Heimatverein aktiv ist. Als Christian Lehnhardt zu Beginn des Jahres eine Technikausstattung für seinen Verein aus dem SonderFonds MikroKultur des Landesheimatbunds beantragt, liegt seinem Antrag ein Schreiben bei, in dem er Max Wolfram bevollmächtigt, alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit dieser Förderung zu regeln. Die Verantwortung für die Durchführung, Dokumentation und Abrechnung der Fördermittel liegt somit fortan bei dem 22-Jährigen: „Wir brauchen einen Beamer und eine Leinwand vorrangig für eine geplante Veranstaltung, in der wir den Nienstedter:innen unsere Dorfchronik vorstellen wollen. Aber auch darüber hinaus kann unser Verein die Technik gut gebrauchen“, beteuert der junge Nienstedter während des Dorfrundgangs, „zum Beispiel, wenn wir nächstes Jahr während der Fußball- Europameisterschaft Public Viewing in der Vereinshalle veranstalten. Oder bei Vereinssitzungen, die
dann auch über Videotelefonie stattfinden können.“

Max Wolfram (links) und Christian Lehnhardt vom Traditionsverein Der Pelzkocher Nienstedt e.V. vor der Vereinshalle, die zusammen mit der vorgelagerten Veranstaltungswiese Teichdamm den kulturellen Mittelpunkt des Dorfes bildet.

Die Gegend um das Dorf Nienstedt ist vor allem durch Kupferbergbau geprägt, wie ein Fördergerüst am Horizont zeigt.

Ein grundsätzlicher Mangel an jungen Leuten im ländlichen Raum ist normal. Viele kommen aber wieder zurück.

Tatsächlich ist er selbst einer der Profiteure der Digitalisierung. Für ein duales Studium im Fach Öffent- liche Verwaltung ist er von Nienstedt nach Halberstadt gezogen und gehört damit der Alterskohorte der Bildungswander:innen zwischen 18 und 25 Jahren an, die ihre ländlichen Heimatorte für ihre Ausbildung verlassen. Alle anderen Altersgruppen zieht es laut der Studie Landlust neu vermessen der Wüstenrot- Stiftung und des Berlin-Instituts neuerdings eher von den Städten aufs Land – Homeoffice und Videokonferenz sei Dank. Max Wolfram plant ebenfalls, in absehbarer Zukunft wieder zurück nach Nienstedt zu ziehen: „Hier ist es schön, beschaulich, ruhig. Meine Familie und meine Freunde sind hier und es gibt hier mehr Gemeinschaft als in der Stadt“, begründet der Student seine Pläne.

Der ungewöhnliche Vereinsname des Traditionsvereins Pelzkocher Nienstedt e.V. rührt von einer lokalen Till-Eulenspiegel-Sage her, die in Nienstedt spielt. Und noch heute konzentrieren sich die Vereinsaktivitäten auf Anlässe zum gemeinschaftlichen Fröhlichsein: Der Höhepunkt des Nienstedter Festkalenders ist der traditionelle Burschentanz, den das 200-Seelen-Dorf jährlich an einem Wochenende im Juli feiert. „Da verdoppelt sich die Einwohnerzahl schon mal“, betont Max Wolfram und meint damit junge Exil-Nienstedter:innen, die zu dem Termin gern den Weg in ihre Heimat auf sich nehmen. Neben einer Tanzveranstaltung, die auf dem Teichdamm, einer großen Wiese vor der Vereinshalle in der Dorfmitte, stattfindet, pflegen die Nienstedter:innen an diesem Wochenende verschiedene alte Bräuche.

Die Vereinshalle, die in den 1980er Jahren gebaut wurde, gehört der Gemeinde Allstedt. Die Pelzkocher zahlen nur die Betriebskosten.

Der Ansicht des Vereinsvorsitzenden Martin Kütz nach hänge Engagement immer an einzelnen Personen, „und es muss auch Spaß machen“. Die Gefahr, dass ein Verein kaputtgeht, bestehe immer. Deshalb solle man sich auch in guten Zeiten nicht auf den Lorbeeren ausruhen, mahnt er: „Man muss sich auch immer wieder in Toleranz üben. Neue Leute bringen neue Ideen mit und bestimmte Dinge werden sich dann nun mal verändern. Damit muss man klarkommen. ‚Das haben wir aber doch noch nie gemacht‘ darf kein Totschlagargument sein.“

Die Kommunikation untereinander und zwischen Alt und Jung nehme dabei eine zentrale Rolle ein, hat Martin Kütz während seiner Vereinsarbeit immer wieder bemerkt: „Einerseits erwarten die Mitglieder, dass jemand den Ton vorgibt, aber Befehle will auch niemand erhalten. Mein Wunsch ist, dass die Mitglieder den Vorstand jagen mit ihren Ideen! Da müssen auch die Jungen mitmachen, damit sich der Heimatverein auf Dauer vom Senioren- zum Familienverein wandeln kann.“ Kleine Schritte in diese Richtung hat Martin Kütz auch schon unternommen: Vor zwei Jahren hat er einen Instagramaccount für den Heimatverein eingerichtet, auf dem er einmal wöchentlich ein Foto aus der Heimatstube postet. Knapp 150 Follower:innen gefällt das.

Max Wolfram (22, links) möchte in absehbarer Zeit wieder zurück nach Nienstedt ziehen. Christian Lehnhardt (49, rechts) zog 1992 in das Dorf im Südharz.

„Wir sind eine individualistische Gesellschaft. Die Leute vermissen das Gemeinschaftsgefühl von früher.“

Ruth Benner-Schmidt, pasapa Mensch und Beruf e.V.

Ruth Benner-Schmidt (links) wünscht sich von der Kommunalpolitik mehr Aufmerksamkeit für die Belange Jugendlicher.

Ruth Benner-Schmidt freut sich. Seit Kurzem ist das Baugerüst vor dem ehemaligen Gasthof Weißes Ross verschwunden. Ein erster Meilenstein auf dem langen Weg der Gebäudesanierung, der noch vor ihr liegt. Seit Juli 2022 betreibt der Verein pasapa Mensch und Beruf e.V. in dem historischen Haus das Jugendzentrum Backstage. Das wuchtige Gebäude, das unübersehbar in der Ortsmitte von Harzgerode steht, sei ein wichtiger Ort für die Harzgeröder:innen, erzählt Ruth Benner-Schmidt, Chefin der Jugendhilfeeinrichtung in freier Trägerschaft: „Früher war es das beste Lokal am Platz. Nach der Wende stand es dann lange leer.“ Ständige Besitzerwechsel haben die dringend notwendigen Sanierungsarbeiten kaum vorangebracht: „Alle hatten große Träume, aber nicht genügend Geld, um das Haus zu sanieren“, erzählt Ruth Benner-Schmidt. Sie sitzt im pasapa mit dem Jugendbetreuer Frank Krebs – Rufname Bo –, dem 17-jährigen Schulabsolventen Philipp Schulz und Solveig Feldmeier, die Benner-Schmidt als „die Person in Harzgerode, bei der alle Fäden zusammenlaufen“ bezeichnet (siehe Heftcover).

Sie alle verbindet, dass sie von außerhalb nach Harzgerode gezogen sind, sich in dem Ort niedergelassen haben und seitdem in verschiedenen Projekten ordentlich anpacken, um das Leben in dem Harzstädtchen für sich und alle anderen lebenswerter zu machen. Solveig Feldmeier ist unter anderem im Kultur- und Heimatbund Harzgerode e.V. und in der Regionalgenossenschaft Harz.Coop aktiv und hat mit ihrem Ehemann vor einigen Jahren das aufgegebene griechische Restaurant Athina gekauft und in einen soziokulturellen Treffpunkt für ältere Menschen umgewandelt. Den Namen des Restaurants und dessen verschnörkelt-mediterrane Inneneinrichtung im Stile eines sachsen-anhaltischen Ablegers der Akropolis haben sie kurzerhand beibehalten, sodass Gäste bei ihrem ersten Besuch sicherlich kurz überlegen müssen, ob sie am Rommeeabend teilnehmen oder doch eher die große Gyrosplatte bestellen sollen. Das Athina liegt nur wenige Meter zu Fuß vom pasapa entfernt im höhergelegenen Teil Harzgerodes. Der pittoreske Harzgeröder Marktplatz mit seinen historischen Fassaden verbirgt sich gleich hinter der nächsten Straßenecke.

Das Athina, das Solveig Feldmeier mit ihrem Mann gekauft hat, war mal ein griechisches Restaurant.

Jede:r Zweite will Harzgerode verlassen

„Unsere Grundidee ist, dass Jung und Alt miteinander und nicht nur nebeneinander leben, sondern dass man wieder mehr miteinander teilt“, holt Ruth Brenner-Schmidt aus, „denn wir sind ja eigentlich eine Gesellschaft der Individualist:innen geworden. Die Leute vermissen diese Form der Gemeinschaft“, ist sie sich sicher, „die viele ja noch von früher kennen.“ Der Verein pasapa besitzt inzwischen vier Gebäude in der Harzgeröder Umgebung, darunter das Jugendzentrum Backstage in dem ehemaligen Gasthof und ein Wohnheim für Jugendliche, die mit ADHS, Autismus, Lern- und Kommunikationsschwächen oder anderen Einschränkungen leben. Einer dieser Jugendlichen ist Philipp Schulz, der gerade seine Schule abgeschlossen hat und nun auf der Suche nach einem Praktikumsplatz ist, um sich auf eine Ausbildung im Handwerk vorzubereiten. Der junge Mann kam als 15-Jähriger zu Fuß aus Brandenburg in den Harz. Der Weg zu seinem neuen Wohnort war eine Jugendhilfemaßnahme, die ihn 185 Kilometer durch Ostdeutschland führte. Inzwischen, zweieinhalb Jahre später, hat er seine sprichwörtlichen Zelte fest in Harzgerode aufgeschlagen und möchte auch erstmal bleiben, wenn es geht: „Anfangs war es schwierig, hier Freunde zu finden. Aber seit ich im Harzgeröder Fußballverein SV Concordia 08 bin, habe ich andere Jugendliche kennengelernt.“ In seinem Freundeskreis will etwa jede:r Zweite Harzgerode verlassen, sobald sie mit der Schule fertig sind, „die anderen haben sich ans Dorfleben gewöhnt.“ Dass Gewöhnung nichts Schlechtes sein muss, klärt er direkt danach auf: „Das Vereinsleben in Harzgerode gibt mir Struktur.“

Die Harzgeröderin Solveig Feldmeier im Gespräch mit Philipp Schulz, der vor zweieinhalb Jahren als 15-Jähriger aus Brandenburg in den Harz kam.

Neben dem Athina, dem pasapa und dem Kultur- und Heimatbund gibt es noch weitere gemeinnützige und kommunale Akteur: innen, die sich für ein konstruktives Miteinander von Jung und Alt in Harzgerode stark machen. Die Mischung macht’s, könnte man denken, und im Großen und Ganzen stimmt das sicherlich auch. Im Kleinen gibt es doch immer mal wieder Missverständnisse und Querelen, vor allem dort, wo das Engagement von Privatpersonen von öffentlichen Fördermitteln weitgehend unberücksichtigt bleibt. „Ich glaube, dass es vielen Harzgeröder:innen beispielsweise nicht schnell genug geht mit der Sanierung des ehemaligen Gasthofs“, gibt Ruth Benner-Schmidt die Stimmung in der Stadt wieder: „Ihnen geht es dabei vor allem um das Stadtbild.“ Für sie liegt aber in der Ruhe die Kraft: Im Innern des Gebäudes helfen die Jugendlichen bei den Sanierungen und wachsen so an ihren Erfolgserlebnissen – auch wenn diese eben etwas länger auf sich warten lassen, als wenn man Handwerker:innen alles machen lassen würde.

Querelen gab es auch bei den Nienstedter Pelzkochern immer mal wieder, berichtet der Vereinsvorsitzende Christian Lehnhardt. Im Jahr 2014 seien die Fronten im Verein besonders verhärtet gewesen, „aber man hat sich dann doch wieder zusammengerauft.“ Wie in jedem Verein gebe es auch heute ab und zu Missverständnisse, sagt der 49-Jährige. „zum Beispiel, wenn manche Ältere einfach nicht loslassen wollen.“ Als Vereinsvorsitzender und Angehöriger der Generation mittleren Alters probiert er, mit gutem Beispiel voranzugehen. Dem Nachwuchs kleinere Projekte eigenverantwortlich zu übertragen – wie beispielsweise beim Sonder- Fonds MikroKultur – ist seine Art, die Jüngeren konstruktiv in die Vereinsarbeit einzubinden, ohne die Älteren zu verprellen.

Sein Plötzkyer Amtskollege Martin Kütz ist in solchen Situationen rigoros: „Den Vorstand haben wir in den letzten Jahren schon deutlich verjüngt“, schildert er die aktuelle Situation an der Elbe. Sowieso sei er ein Verfechter regelmäßiger Vorstandswechsel, um die Maschine am Laufen zu halten, „und man muss auch ab und zu mal den Mut haben, faule Eier aus dem Vorstand zu werfen.“

„Für junge Leute tut die Politik hier wenig. Überall stören die Jugendlichen.“

Ruth Benner-Schmidt, pasapa Mensch und Beruf e.V.

In Harzgerode hat der Bürgermeister Marcus Weise (CDU) im letzten Jahr ebenfalls probiert, der Jugend der Stadt mehr Verantwortung bei der Verwaltung ihres Jugendzentrums zu übertragen. Marcus Weise wurde vor fünf Jahren mit nur 26 Jahren in sein Amt gewählt – und gab den Jugendlichen einen Vertrauensvorschuss. „In den Ortsteilen klappt das gut“, weiß Solveig Feldmeier zu berichten: „da kümmern sich schon länger die älteren Jugendlichen um die jüngeren.“ Der Versuch des selbstverwalteten Jugendzentrums in der Kernstadt Harzgerode vor einem Jahr sei aber gescheitert, erzählen Solveig Feldmeier und Ruth Benner-Schmidt. Nachbar:innen haben sich beschwert, weil die Jugendlichen ständig Partys feiern würden. Die Räumlichkeiten verdreckten zusehends und niemand fühlte sich verantwortlich. „Die Idee der autonomen Jugendzentren ist ja grundsätzlich gut“, sagt Ruth Benner-Schmidt: „Denn wirkliche Alternativen haben die Jugendlichen hier ja nicht. Von den öffentlichen Plätzen werden sie vom Ordnungsamt regelrecht vertrieben.“ Die Haltung der überwiegend älteren Stadtratsmitglieder und Mitarbeitenden der Behörden sei: „Egal, wo sich die Jugendlichen aufhalten, stören sie. Für junge Leute tut die Politik hier wenig“, so die Wahl-Harzgeröderin. Sie wünscht sich, dass sich Vertreter:innen der Stadt, der Jugendeinrichtungen und Schulen mal gemeinsam an einen Tisch setzen und eine sinnvolle Lösung für die Jugendlichen in Harzgerode erarbeiten.

Der alte Gasthof Weißes Ross steht in Harzgerode an prominenter Stelle. Gerade wurden die Sanierungsarbeiten an der Fassade abgeschlossen.

Philipp Schulz, der mit seinen 17 Jahren nun langsam der Zielgruppe der Jugendzentren entwächst, trifft sich mit seinen Freunden am liebsten irgendwo draußen: „Meistens sitzen wir auf der Treppe vorm REWE oder hinter der Stadtmauer.“ Inzwischen sei auch das Concordia-Vereinsheim zu einem beliebten Treffpunkt geworden. An diesen Orten habe man seine Ruhe, so der Harzgeröder, oder man könne laute Musik hören. Je nachdem. Am Ende gehe es ihm und seinen Freunden manchmal auch einfach darum, ohne Erwachsene zu sein. Bo Krebs, der im pasapa verschiedene Angebote für Jugendliche macht, findet das ganz normal: „Die Jugendlichen, die zu unseren Veranstaltungen und Treffen kommen, sind überwiegend zwischen 12 und 16 Jahren alt.“

Die Kommunikation zwischen den privaten Akteur:innen der Jugendhilfe und dem Harzgeröder Bürgermeister sei indes „nicht so gut“, sagt Ruth Benner-Schmidt. Und damit ist sie in Sachsen-Anhalt nicht allein. Vor allem in den kleineren, eher ländlichen Ortsteilen fühlen sich die Akteur:innen von den Entscheidungsträger:innen in den Rathäusern und Stadtverwaltungen ignoriert oder vergessen. „Der Heimatverein Plötzky sorgt für Ortsverschönerung und übernimmt Aufgaben, die die Stadt Schönebeck schlichtweg nicht leistet“, sagt Martin Kütz, „viele Gemeinden machen nur noch die Pflichtaufgaben.“ Ähnlich sieht es Christian Lehnhardt in Bezug auf die Gemeinde Allstedt: „Vieles wird nur noch verwaltet. Geld wäre vielleicht sogar da, aber die anderen Orte sind immer eher dran.“ Die Feuerwehr, der Landfrauenverein und der Heimatverein in Nienstedt finanzieren sich ausschließlich über Spenden, so der Tischlermeister.

Dass sich die Vereine in Sachsen-Anhalt im Wandel befinden, ist ein Fakt. Jedoch ist es fast nirgends damit getan, junge Leute zu einer Mitgliedschaft zu bewegen. Es hapert vielerorts auch an internen und externen Faktoren – etwa verkrusteten Vereinsstrukturen, mangelnder Finanzierung oder Unterstützung aus der Gesellschaft – die wenig mit der Jahreszahl auf dem Personalausweis zu tun haben. Immer wieder entstehen auch Konflikte entlang anderer Fragen: Wie gestalten (oftmals westdeutsche) Zugezogene und (ostdeutsche) Einheimische die Dorf- und Stadtentwicklung miteinander statt gegeneinander? Wie integriert man bisher unterrepräsentierte Gruppen – der Pelzkocher-Verein ist zum Beispiel bis heute ein reiner Männerverein – in das Vereinsleben, das bisher gar nicht auf diese Gruppen ausgelegt ist? Lässt man Innovationen zu oder bewahrt man Kontinuitäten im Verein? Welche neuen Perspektiven können Geflüchtete oder Menschen mit Migrationserfahrungen in Heimatvereine einbringen und wie lassen sich sprachliche und kulturelle Barrieren überwinden? Dort, wo Vereine den wie auch immer gearteten Wandel aktiv gestalten, scheinen offene Kommunikation, gegenseitiges Vertrauen und die Bereitschaft, sich auf strukturelle Veränderungen einzulassen, zentrale Erfolgsfaktoren zu sein. Sollte dies nicht gelingen, ist das aber möglicherweise auch keine Schande. Nicht jeder Verein muss Jahrzehnte oder Jahrhunderte überdauern. Die nächste Generation wird möglicherweise eine andere Form finden, um sich für dieselben Anliegen einzusetzen.