LHBSA/LSA, Foto: Daniela Friebel
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Vom Singen, Zählen und Züchten – Die Finkenwettstreite im Harz
Wenn im Harz der Frühling beginnt und die Buchfinken ihre Lieder anstimmen, wird ein alter Brauch lebendig, der mittlerweile einzig in Deutschland noch gepflegt wird: der Finkenwettstreit. Zwischen Mai und Juni treten in mehreren Orten des Harzes (in Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Thüringen) die farbenprächtigen Buchfinken in den Kategorien Schönheitssingen und Starksingen gegeneinander an. Gesucht wird der Vogel mit dem schönsten Gesang und der, der am häufigsten singt.
Hinter diesem ungewöhnlichen Wettbewerb steckt eine jahrhundertealte Tradition. Bereits im 15. Jahrhundert gibt es erste Hinweise auf das sogenannte Finkenschlagen, im Harz findet sich ein erster schriftlicher Beleg bereits 1793. Heute ist die Finkenliebhaberei in der Bundesrepublik Deutschland weitgehend ausgestorben. Nur noch hier im Harz werden nach alten Traditionen Finkenwettbewerbe ausgetragen. Den Sound der Buchfinken haben die Harzer seit Jahrhunderten im Ohr. Ihr Liebe zu dem kleinen Vogel entwickelte sich im Rahmen des Vogelfangs, wobei die besten Sänger als Lockvögel in den Stuben gekäfigt, gehegt und gepflegt wurden. Dabei entstand eine enge Beziehung zwischen Mensch und Buchfink. Schönheit und Ausdauer der Gesänge wurden studiert, und es entwickelte sich ein geschultes Gehör für die Verschiedenartigkeit der Finkenschläge. Und aus der Freude am Vergleichen wuchs der Wunsch nach Wettkämpfen – den heute bekannten Finkenmanövern.
LHBSA/LSA, Foto: Daniela Friebel
Die Finken werden etliche Monate in solch verhüllten Käfigen gehalten und zu den Wettbewerben gebracht. Unter Tierschützern ist diese Art der Zucht mindestens umstritten.
Wie ein Buchfink singt
Der Gesang eines Buchfinken ist erstaunlich komplex. Er besteht aus mehreren „Lagen“, die jeweils aus Silben und Lauten aufgebaut sind. Eine komplette Strophe dauert meist 3–4 Sekunden. Besonders auffällig: Die erste Lage ist in der Regel die höchste. Um die verschiedenen Gesänge unterscheiden zu können, haben die Finkenfreunde ihnen lautmalerische Namen gegeben – wie „Reiterspazier“, „Fuhrmann“ oder „Putzebart“. Im Laufe der Zeit haben die Harzer Finker über 50 verschiedene Gesangsformen erkannt und benannt. Für die Wettbewerbe in der Kategorie Schönheitssingen wurden daraus 22 besonders geschätzte Schläge ausgewählt. Die Beurteilung erfolgt durch eine Jury aus drei erfahrenen Schiedsrichtern. Sie achten auf Vollständigkeit, Tonhöhe und Klangreinheit – fünf Minuten lang.
Kulturerbe mit Zukunft
Auch moderne Technik spielt heute eine Rolle: Mit der App Merlin Bird ID lassen sich Vogelstimmen in der Natur schnell erkennen. Die App nimmt die Laute auf, analysiert sie und zeigt live ein Sonagramm, also eine Art grafische Darstellung des Gesangs. Auch im Harz wurden solche Sonagramme erstellt, um die Unterschiede der Finkenschläge besser zu dokumentieren. Was viele überrascht: Junge Buchfinken lernen ihren Gesang tatsächlich von Audioaufnahmen. Die „Trainings-CDs“ enthalten die gewünschten Schläge, die die Jungvögel nach und nach übernehmen. Das funktioniert erstaunlich gut. Mit der Aufnahme der Finkenmanöver im Harz in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes (2014) wurde eine bis heute lebendige und identitätsstiftende Tradition gewürdigt.
