
Sophie Döring
Artikel
Über tausend Jahre Ortsgeschichte digital
Die Arbeit mit und am „Historischen Ortsverzeichnis von Sachsen“ (HOV)
Das „Historische Ortsverzeichnis von Sachsen“ (HOV) ist eine online frei verfügbare Datenbank, die in etwa 6.000 Einträgen alle Siedlungen erfasst, die seit dem Mittelalter für das Gebiet des heutigen Freistaates Sachsen nachweisbar sind.1 Dazu gehören heute weiterhin existente Orte genauso wie mittelalterliche Wüstungen sowie Orte, die etwa infolge des Braunkohletagebaus verschwunden sind. Als historisch-topografisches Sachlexikon bietet es Angaben zur geografischen Lage, Siedlungsform und Gemarkung, Bevölkerung, verwaltungsmäßigen Zugehörigkeit, den vormaligen grundherrlichen Verhältnissen, Kirchenverfassung sowie zu den historischen Ortsnamenformen und frühen schriftlichen Erwähnungen der einzelnen Orte. Das HOV gibt damit einen tieferen Einblick in die Historie von Einzelorten und fungiert als zentrales Referenztool sowohl für verschiedene Forschungsvorhaben als auch für Recherchen im Citizen-Science-Bereich oder informellen Suchen durch Gelegenheitsnutzer:innen.
Angesiedelt ist das HOV am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV),2 welches in seiner Forschungsausrichtung eine große Bandbreite historischer und kulturanthropologischer Fragestellungen vereint. Neben der digitalen Aufbereitung und Bereitstellung von historischen Schriftquellen, wie etwa der mittelalterlichen Urkundensammlung „Codex diplomaticus Saxoniae“ oder der Realisierung von Forschungsprojekten beispielsweise zu kulturwissenschaftlichen Perspektiven auf Bergbau- und Folgelandschaften, bietet das Institut auch mehrere Online-Datenbanken an: darunter etwa die Sächsische Biografie und das Digitale Bildarchiv.3 Darüber hinaus verfügt das Institut über ein breites thematisches Vortragsangebot4 und veranstaltet kulturanthropologische und historische Tagungen.
Zu den Online-Datenbanken des ISGV gehört heute auch das Historische Ortsverzeichnis von Sachsen. Tatsächlich hat das HOV jedoch eine sehr viel längere Vorgeschichte: Bereits am Anfang des 19. Jahrhunderts fanden erste inhaltliche Vorarbeiten statt, die bis heute überliefert sind und sich im Hauptstaatsarchiv in Dresden befinden. Dem Landeshistoriker Karlheinz Blaschke gelang es Ende der 1950er-Jahre schließlich, diese Arbeiten zum Abschluss und erstmals als „Historisches Ortsverzeichnis von Sachsen“ zum Druck zu bringen. 2006 folgte eine intensive Überarbeitung, Erweiterung und schließlich Neuauflage des HOV, das nun eine alphabetisch geordnete Übersicht und eine Erfassung der 1990 hinzugekommenen Orte des neuen Freistaats umfasste.
Seit der Freischaltung der HOV-Webdatenbank im Januar 2008 steht das gesamte Material auch online zur Nutzung bereit. 2021 folgte schließlich eine Anpassung der Seite an die Ansprüche einer modernen Präsentation von Ortsdaten, welche unter anderem ein neues Design und ausführliche Hilfeseiten umfasste. Heute bietet die Seite für etwa 6.000 Orte je nach Quellenlage verschiedenste Informationen von historischen Einwohnerzahlen bis hin zu Landkreiszugehörigkeiten an. Dass die Angaben so breit gefächert sind, kommt dabei sehr verschiedenen Nutzer:innengruppen zugute – von interessierten Laien über engagierte Ehrenamtler:innen bis hin zu hauptberuflichen Forscher:innen. So können sich Nutzer:innen etwa zu historischen Namensformen ihres Ortes informieren oder die Urkunde der mittelalterlichen Ersterwähnung recherchieren.
Wie funktioniert die Recherche im Historischen Ortsverzeichnis von Sachsen?
Jeder Ortseintrag ist in elf thematische Schwerpunkte eingeteilt: Unterhalb des Ortsnamens finden sich zunächst grundlegende Kerninformationen des Ortes, etwa seine Lage zur nächstgelegenen Stadt, seine Höhenlage sowie seine heutige Landkreiszugehörigkeit. Darunter folgt unter dem Stichwort „Verfassung“ eine Aufschlüsselung des Ortes bezüglich seines Aufbaus und dessen historischer Veränderung, etwa durch Eingemeindungen oder Streichungen. Unter dem Stichpunkt „Siedlung und Gemarkung“ finden sich Angaben zu den Mitte des 19. Jahrhunderts erstellten Flurkarten und der daraus resultierenden Kategorisierung nach Flur- und Siedlungstypen sowie eine Angabe zur Ortsgröße zu diesem Zeitpunkt. Darauf folgen verschiedene „Bevölkerungszahlen“, die sich vom 16. bis zum 18. Jahrhundert auf die Leistungseinheiten (also relevante Häuser, Familiengemeinschaften, Haushaltungsvorstände oder Haus- und Grundbesitzer), ab dem 19. Jahrhundert hingegen auf eine tatsächliche Pro-Kopf- Zählung aller in einem Ort ansässigen Bewohner:innen beziehen. Im Punkt „Verwaltungszugehörigkeit“ werden die jeweiligen Ämter beziehungsweise Landkreise gelistet, denen der Ort im Laufe seiner Geschichte zugehörig war. Ergänzt werden diese Informationen durch eine Auflistung seiner „Grundherrschaftszugehörigkeit“ sowie seiner religiösen Zugehörigkeit unter dem Stichwort „kirchliche Organisation“. Einen sehr häufig genutzten Teil stellen die „Ortsnamenformen“ dar – hier findet sich der Verweis auf die Ersterwähnung eines Ortes mit zugehöriger Quelle sowie der weiteren Überlieferungsgeschichte seiner bekannten Namen. Abgerundet werden die Ortsinformationen durch die Quellen- und Literaturnachweise sowie einer Visualisierung in modernem Kartenmaterial5 (Abb. 1).

Sophie Döring
Abb. 1: HOV-Ortseintrag der Stadt Crimmitschau im Landkreis Zwickau.
Das Historische Ortsverzeichnis im Kontext des Verbundes digitaler Kulturdaten in Sachsen
Im Rahmen des vom s.chsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus geförderten Verbundprojekts „Vernetzung digitaler Kulturdaten in Sachsen“ (DIKUSA)6 können vor dem Ziel der weiteren digitalen Anbindung des HOV nun vor allem technische Neuerungen an der Datenbank stattfinden. Kernstück dieser Arbeiten ist das neue Backend (der für Nutzer:innen unsichtbare Teil der Datenbank), welches den Bearbeiter:innen eine neue Art des Zugriffs auf die eigenen Daten ermöglicht, welche wiederum eine einfachere Bearbeitung der Ortseinträge selbst erlaubt.
Erstmals können die Bearbeiter:innen des Instituts nun alle Daten der umfangreichen Datenbank zentriert an einer Stelle einsehen und nach Bedarf ändern oder erweitern. Auch externe Hinweise k.nnen nun besser geprüft und bei Bedarf eingearbeitet werden (Abb. 2).

Sophie Döring
Abb. 2: Eingabemaske des neuen Backends mit Vorschau des Eintrags (hier am ‚Werkstatt-Beispiel‘ der westlich von Leipzig gelegenen sog. Abteidörfer).
Damit einhergehend werden größere strukturelle Änderungen in der Datenbank unternommen, die im Frontend (der für die Nutzer:innen sichtbare Webseitenteil) zukünftig auch für die Nutzer:innen ersichtlich werden: So sollen etwa die Klassifikationskriterien der im HOV verwendeten Siedlungstypen überarbeitet werden, um die verschiedenen historischen Zustände eines Ortes deutlicher voneinander zu trennen und den Nutzer:innen eine bessere Kontextualisierung dieser Zuordnung zu ermöglichen – schließlich ist die von den Nutzer:innen gesuchte ‚Stadt‘ nicht seit ihrer Gründung eine ‚Stadt‘, sondern erst seit der Vergabe des Stadtrechts. Dabei ist es wichtig, eine Balance zwischen dem Kenntnisstand der heutigen Nutzer:innen und den historischen Veränderungen eines Ortes zu finden und somit gleichzeitig einen für die modernen Nutzer:innen navigierbaren Ist-Zustand des gesuchten Ortes abzubilden, wie auch seine historische Wandlungen sichtbar zu machen.
Um die Weiterrecherche der Nutzer:innen zu erleichtern, sollen zudem zukünftig alle Informationen dort direkt mit Quellenverweisen belegbar gemacht werden, wo dies aufgrund der Informationsgenese in der Entstehungsgeschichte des HOV möglich ist. Für neue Informationen, die eingepflegt werden, wird das bereits umgesetzt: Möglich wird dies durch eine eigene Literatur- und Quellendatenbank, welche die Verwaltung des sehr vielfältigen Materials erleichtert. Im Zusammenspiel mit dem neuen Backend wird es nun erstmals möglich werden, Verweise der verwendeten Quellen und Literatur den Einzelinformationen direkt zuzuordnen und insbesondere spätere Forschung oder zusätzliche Quellen, welche über die Printausgaben des HOV hinaus gehen, auf der Webseite für die Nutzer: innen sichtbar zu machen.
Schließlich wird über die sukzessive Einrichtung kuratierter Zugänge versucht, eine Übersicht über freistaatsübergreifend relevante Themen zu geben. Dazu gehören die historischen Territoriumsänderungen Sachsens und eine Genese der sorbischen Siedlungsgebiete genauso wie epochenspezifische Thematiken wie etwa Ortsnamenänderungen im Nationalsozialismus, welche den Nutzer:innen eine Kontextualisierung und Einordnung der einzelnen Ortsinformationen in größere historische Entwicklungslinien ermöglichen werden.
Sophie Döring
ist Historikerin und zurzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin im digitalen Verbundprojekt „Vernetzung digitaler Kulturdaten in Sachsen“ am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde. ⇆ s.doering@isgv.de
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1)
Online abrufbar unter: https://hov.isgv.de/.
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2)
Alle Informationen zum Institut online unter https://www.isgv.de/.
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3)
Onlineauftritte unter: http://codex.isgv.de/, https://saebi.isgv.de/ und http://bild.isgv.de/.
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4)
Mehr Informationen online unter https://www.isgv.de/aktuelles/veranstaltungen.
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5)
Eine detailliertere Auflistung der einzelnen Punkte und ihrer Informationen findet sich in den Hilfeseiten des HOV.
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6)
Mehr Informationen unter: https://www.saw-leipzig.de/de/projekte/dikusa.