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Sing man tau! Das Niederdeutsche Volkslied vom Pastor und seiner Kuh

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Sachsen-Anhalt-Journal - „Sound“ (Nr. 2, 2025)

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Alltagskulturen Geschichte Kunst & Musik Mundarten Niederdeutsch

Der Spottgesang über "Herrn Pastor sien Kauh" wird gern und sicher nicht zu Unrecht als zweitbekanntestes niederdeutsches Volkslied (nach "Dat du min Leevsten büst") bezeichnet. Zentrales Motiv des in fröhlichen Runden gern auch als Rundgesang (es singt reihum eine Person eine Strophe, den Refrain singen alle gemeinsam) vorgetragenen Stückes ist das Ableben der Pfarrerskuh.

Genauer lässt es sich nur schwer fassen, denn je nach Gesangsbuchausgabe, Sprachvermögen des Singkreises, Gewohnheiten oder Gegend hat das Lied bis zu 100 Strophen in zahllosen Textvarianten. Am 24. Juni 2007 sangen Einwohner von Emsbüren und Umgebung sogar weltrekordige 505 Strophen des Ohrwurms, den man in Emsbüren als im Ort ursprünglich betrachtet. Eine Bronzeskulptur im Ort will diesen Anspruch bekräftigen. Alternative Hinweise auf den Ursprung führen jedoch nach Westfalen. Die tatsächliche Herkunft oder gar eine Autorschaft wird man wahrscheinlich nie ermitteln können, zumal das Lied im Bedarfsfall und bei genügend kreativem Witz des Gesangskreises erweitert und neu erfunden werden kann, dass sich die Balken biegen.

Auch in Sachsen-Anhalt wird das Lied gern gesungen, vor allem in jenem Erzählstrang, wonach die Pastorenkuh nach ihrem Ableben (zu Pfingsten übrigens) in ökologisch vorbildlicher Weise recycelt wird, sodass das ganze Dorf was davon hat. Der Küster bekommt z.B. den Schwanz als neues Glockenseil, die Feuerwehr Wagenschmiere aus dem Fett des Tieres und die Englischlehrerin kriegt ein neues Gebiss aus – so darf man annehmen – Kuhknochen. Dass den Singenden dabei der Schalk im Nacken sitzt, muss nicht erwähnt werden. So geht es manchmal schlau und manchmal derb anzüglich weiter, bis die Kuh gänzlich aufgeteilt ist, wobei in manchen Textfassungen auch die Unrechtmäßigkeit der Schlachtung oder das Zurückbleiben eines Kälbchens erwähnt oder gar folgende Tatsache das Lied beendet: „Nu taulest dat allerbest’, allerbest’, allerbest’: De Kauh, de is’n Ossen ’west – un nich Pastorn sien Kauh!“. Aber was heißt schon das Ende vom Lied? Denn der Refrain fordert stets neu auf, munter weiter zu singen: „Sing man tau, sing man tau von Herrn Pastor sien Kauh!“ Je nach Region und dortiger Mundart wird aus den Reimwörtern übrigens problemlos ein „to/Koh“ gemacht, wie überhaupt kein Versuch, den „richtigen“ oder auch nur „orthografisch richtigen“ Text abzudrucken, gelingen kann. Das Lied ist wie seine Sprache ein lebendiges Ding.