
Julius C. Schreiner
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Schächte, Schleusen, Schifffahrtswege
Wasser und Wirtschaft, Industrie und Kultur sind in Sachsen-Anhalt seit jeher eng miteinander verflochten. Kultivierung bedeutet zunächst, die Böden nutzbar zu machen für den Anbau von Lebensmitteln.

Julius C. Schreiner
Das Pumpspeicherkraftwerk Wendefurth bei Thale ist das einzige seiner Art in Sachsen-Anhalt.
Eine frühe Kulturlandschaft erschufen Zisterziensermönche an Saale und Unstrut, als sie den Saale-Damm errichteten, der noch heute vor Hochwasser schützt, und den Weinbau in der Region etablierten. Das Industriezeitalter wäre ohne Wasser undenkbar – es ist Lebensgrundlage, Energiequelle, Rohstoff und ein sensibles Gut. Zu viel oder zu wenig Wasser kann Zivilisationen schnell in ihrer Existenz bedrohen. Bis zur industriellen Revolution konzentrierten sich Siedlungsbau, Wirtschaft und Handel entlang der Wasserwege. Umgekehrt resultierten aus der industriellen Nutzung neue Wasserlandschaften.
In Sachsen-Anhalt bestimmen vor allem Saale und Elbe die Entwicklung der Region – als unüberwindbare Grenzen oder als Verbindung zu weit entfernten Gegenden. Historische Wassermühlen erinnern an die Bedeutung der Wasserkraft als Energiequelle. Untrennbar mit den Wassern der Saale ist die Salzherstellung aus der Sole verbunden. Sie prägte nicht nur die Entwicklung der Stadt Halle, sondern auch die Entstehung der Chemieindustrie in der Gegend zwischen Leuna, Zeitz und Bitterfeld, die ohne das alchemistische Wissen um die Salzgewinnung nicht entstanden wäre. Der hohe Energie- und Wasserbedarf dieser Industrie zog die industrielle Braunkohlegewinnung nach sich, die ihrerseits den Maschinenbau und das Transportwesen begünstige, das fortan nicht nur die Flüsse, sondern auch das wachsende Schienen- und Straßennetz nutzte.
Um sich vor den Gefahren des Hochwassers an Elbe, Mulde, Saale und ihren Zuflüssen zu schützen, bauten die Menschen in Sachsen-Anhalt seit jeher Deiche und ausgeklügelte Entwässerungssysteme. Bauliche Zeugnisse dieser Entwicklungen sind das Schöpfwerk Vehlgast, das bewegliche Pretziner Wehr, sowie der Elsterfloßgraben, der sich auf einer Länge von 93 Kilometern aus Brücken, Flutern, Gewölben, Zuflüssen und Abschlägen zusammensetzt. Bis zur Industrialisierung der Schifffahrt war die Flößerei in Teilen Sachsen-Anhalts weit verbreitet, um Handelswaren über größere Entfernungen zu transportieren. Mit ihrem exzentergesteuerten Schaufelrad revolutionierte die Roßlauer Schiffswerft die moderne Dampfschifffahrt und das Transportwesen auf den Flüssen – in Europa bis hin zum Mississippi.
Sachsen-Anhalt ist im Industriezeitalter durch intensiven Kohle-, Kali- und Kupferbergbau geprägt. Viele der durch Braunkohleabbau entstandenen Tagebaulöcher wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geflutet, renaturiert und in Seenlandschaften umgewandelt, die heute touristisch genutzt werden. Die großen Bagger auf der Halbinsel Ferropolis, die einst die Kohle im Tagebau Golpa-Nord beförderten, stehen heute als Relikte einer vergangenen Zeit am Ufer des heutigen Gremminer Sees.
Industriekultur am Wasser ist heutzutage weit mehr als Renaturierung und Bewahrung historischen Erbes. Sie ist Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für zeitgenössische Kunst, Architektur sowie Stadt- und Regionalentwicklung. Die neuen Seenlandschaften Goitzsche, Geiseltalsee oder der Wissenschaftshafen Magdeburg sind Symbole dieses Wandels.
Die – teils umgenutzten, teils vernachlässigten – baulichen Zeugnisse einer vergangenen Industriekultur
am Wasser verweisen auch auf existenzielle Fragestellungen der Zukunft. Neue, klimafreundliche
Formen der Energiegewinnung, der Hochwasserschutz, das Konzept der Schwammstadt
oder die Bedeutung von Mooren als CO₂-Senke sind nur einige der Debatten, die spätindustrielle
Siedlungs- und Naturlandschaften wie Sachsen-Anhalt heutzutage und in Zukunft betreffen.

Julius C. Schreiner
Der Förderverein Altes Schöpfwerk Vehlgast e.V. kümmert sich um das Baudenkmal im Havelberger Umland.

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Die Elbebrücke bei Vockerode wurde im Jahr 2000 errichtet und ist Teil der Autobahn A9. Ein Vorgängerbau existiert seit 1935.

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Das ehemalige Braunkohlekraftwerk Vockerode wurde 1994 stillgelegt. Es verlor im März 2006 seinen Denkmalstatus, nachdem zwei Schornsteine gesprengt wurden.

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Mit 106 Metern ist die Staumauer der Rappbode-Talsperre die höchste Staumauer Deutschlands.

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Der Elsterfloßgraben wurde im 16. Jahrhundert angelegt, um Holz zu transportieren. Holz wurde für die Salzproduktion benötigt.

Julius C. Schreiner
Wo früher Tagebaue waren, ist inzwischen eine maritime Freizeitlandschaft entstanden. Der Geiseltalsee (hier bei Mücheln) ist der größte künstliche See Deutschlands.