Matthias Behne, lautwieleise.de
Artikel
Punkrock unterm Pflaumenbaum
In einem kleinen Dorf im Harz verwandelt sich einmal im Jahr ein Garten in ein Festivalgelände. Was einst als spontane Idee begann, ist heute ein ehrenamtlich organisiertes Kulturprojekt mit klarer Haltung: unabhängig, unkommerziell und fest verwurzelt in der Region.
Es ist Mitte Juli, und noch liegt eine trügerische Ruhe über Rohrsheim. Doch in Inges Garten wird längst geschraubt, gehämmert und geschleppt – die Vorbereitungen für das diesjährige „Rock im Garten“ laufen auf Hochtouren. In wenigen Tagen verwandelt sich das beschauliche Dorf in Sachsen-Anhalt wieder in ein Epizentrum der deutschen Punkrockszene. Bereits zum zwölften Mal findet das Festival statt und die Vorfreude ist bei allen Beteiligten spürbar.
Was heute ein minutiös geplantes und professionell organisiertes Event ist, begann 2007 mit einer einfachen Frage und einer wunderbar kreativen Antwort darauf. Die Oma wollte wissen, welche Musik der Enkel eigentlich hört – und was es mit diesen Konzerten auf sich hat, zu denen er ständig unterwegs war. Anstatt sich in langen Erklärungen zu verlieren, beschloss er, ihr seine Welt einfach zu zeigen: Er stellte eine improvisierte Bühne in Omas Garten, lud ein paar Freunde und Freundinnen ein, organisierte Getränke und ließ die Musik einfach für sich selbst sprechen. Das machte allen Beteiligten zwar gehörigen Spaß, dass daraus einmal ein Festival mit Kultstatus werden würde, konnte damals aber trotzdem niemand ahnen.
Jedoch zeigte schon die erste kleine Veranstaltung: Hier kann durchaus etwas entstehen, was vielen Menschen in der Region fehlt. Für junge Bands gab es kaum Auftrittsmöglichkeiten, die kulturellen Angebote waren sowieso überschaubar. Also setzte man das Format zunächst bis 2011 als private Veranstaltung zwischen Obstbäumen mit viel Herzblut und wenig Technik fort.
Matthias Behne, lautwieleise.de
Matthias Behne, lautwieleise.de
Nach einer längeren Pause erfolgte 2018 der Neustart. Dieses Mal größer und strukturierter, aber mit demselben Spirit. Doch das Comeback stand unter keinem guten Stern: Innerhalb von 30 Minuten regnete es rund 70 Liter pro Quadratmeter. Der Garten wurde zur Schlammgrube, die Technik stand teilweise unter Wasser, das Festival musste abgebrochen werden. Doch in Rohrsheim entstand noch in derselben Nacht etwas Neues: Einige Musiker:innen, die geblieben waren, spielten noch in der Nacht spontan akustische Sets. Das nun jährlich stattfindende „Rock im Garten Akustik“, ein kostenloses Event, das meist einige Wochen vor dem eigentlichen Festival an gleicher Stelle stattfindet, hatte in dieser Nacht seine Geburtsstunde.
2019 gründete sich der Rock im Garten e.V., der seitdem offizieller Ausrichter des Festivals ist. Der Verein zählt aktuell rund 45 Mitglieder, die ihre ganz unterschiedlichen Fähigkeiten gezielt bei der Organisation des Festivals einsetzen. Die Vorbereitungen ziehen sich dabei über Monate, wobei die letzten Wochen vor dem Festival naturgemäß besonders intensiv sind. Am Veranstaltungstag selbst unterstützen etwa 100 freiwillige Helfer:innen in allen erdenklichen Bereichen: beim Einlass, am Getränkestand und bei der Verpflegung, bei der Technik oder Backstage oder auch bei
der Gestaltung eines umfangreichen Kinderprogramms. Ohne sie wäre das Festival nicht möglich.
Matthias Behne, lautwieleise.de
Matthias Behne, lautwieleise.de
Das Festival lebt von seinen vielen Ehrenamtlichen, die mit viel Hingabe dafür sorgen, dass alles nahezu reibungslos verläuft.
Dabei ist das Festival auch ein Dorfprojekt. Etwa 650 Menschen leben in Rohrsheim. Es gibt ein Freibad, das seine Pforten immer für die Festivalbesucher öffnet, die Freiwillige Feuerwehr und der Fußballverein unterstützen mit Equipment und bei der Logistik. Und wenn am Ende ein paar Kisten Bier übrig bleiben, dann werden die kurzerhand an die Unterstützer weitergereicht.
Die diesjährige Ausgabe ist bereits vor Festivalbeginn ein Erfolg: Alle 450 Tickets wurden über den Vorverkauf restlos ausverkauft. Rund 70 Prozent der Gäste sind mittlerweile Stammgäste, die die familiäre Atmosphäre und das Handgemachte am Festival zu schätzen gelernt haben. Kinder sowie alle Rohrsheimer haben traditionell freien Eintritt. Insgesamt werden am Festivalsamstag gut 1.000 Menschen im Garten erwartet.
Die Bühne steht noch immer in Inges Garten zwischen Apfelund Pflaumenbäumen. Abends, wenn die Musik durch die Felder hallt und der Blick über den Acker in einen glutroten Sonnenuntergang fällt, entsteht ein Moment, den viele Gäste als magisch beschreiben. „Das größte kleine Festival in Deutschland“ – so wird Rock im Garten gerne genannt. Und es ist nicht nur ein liebevoll gemeinter Spitzname: Auch bekannte Bands schätzen den besonderen Charakter dieses Ortes. Szenegrößen wie Rantanplan oder in diesem Jahr die Berliner Punk-Legenden von ZSK standen schon auf der Bühne in der sachsen-anhaltinischen Provinz. Die Kontakte entstehen durch das wachsende Netzwerk des Vereins, über Konzerte, andere Festivals oder persönliche Bekanntschaften. Viele Bands kommen nicht nur gerne – sie kommen auch wieder.
Matthias Behne, lautwieleise.de
Die Deutschpunk-Band Alarmsignal.
Matthias Behne, lautwieleise.de
Trotz aller positiven Entwicklungen ist der Erfolg nicht selbstverständlich. Die Rahmenbedingungen für Festivals haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Das Sicherheitskonzept von Rock im Garten umfasste vor einigen Jahren noch acht Seiten – mittlerweile sind es 34. Immer neue Auflagen, gestiegene Kosten und Förderengpässe machen die Organisation anspruchsvoller. Der Verein erhält zwar Unterstützung – etwa durch Programme wie die „Initiative Musik“ oder den Mikro- KulturFonds Sachsen-Anhalt, doch auf diese Förderungen können selbstverständlich nicht alle Veranstaltungen zurückgreifen. Die Festivallandschaft in Deutschland verändert sich: Formate werden größer, professioneller aber eben auch kommerzieller.
Rock im Garten will diesen Weg bewusst nicht gehen. Der Verein hält an seinem DIY-Ansatz fest, finanziert sich weiterhin überwiegend aus eigenen Mitteln, Spenden und viel ehrenamtlicher Arbeit. Die Freiberger Brauerei ist der einzige kommerzielle Sponsor. Die Entscheidung ist klar: Das Festival bleibt unabhängig, familiär und nahbar.
Matthias Behne, lautwieleise.de
Matthias Behne, lautwieleise.de
Matthias Behne, lautwieleise.de
Matthias Behne, lautwieleise.de
Bei bestem Wetter hatten Bands und Besucher eine gute Zeit im Garten.
Dass diese Philosophie aufgeht, zeigte sich auch bei der diesjährigen zwölften Ausgabe des Festivals eindrucksvoll. Bereits am Freitag startete das Festivalleben auf dem Campingplatz, wo die „Letzte Band der Welt“ vor rund 300 Leuten der Menge einheizte und die Vorfreude auf den Samstag schürte. Zwar machte das Wetter den Organisatoren beim Aufbau zu schaffen, doch pünktlich zum Festivaltag strahlte die Sonne über Rohrsheim – was man nach den Erfahrungen von 2018 nicht hoch genug schätzen kann.
Neben den 450 zahlenden Gästen fanden sich auch in diesem Jahr rund 100 Rohrsheimer auf dem Gelände ein. Damit wurde der Garten einmal mehr zum Treffpunkt für Musikliebhaber:innen, Familien, Nachbarn und Freunde des Festivals. Die Bühne teilten sich Szenegrößen wie ZSK, Alarmsignal, Fahnenflucht oder Butterwegge, ein Line-up, das nicht nur eingefleischte Punkrock-Fans zu überzeugen wusste. Für die Organisatoren Phil und Obi blieb dabei ein altbekanntes Problem bestehen: Auch in diesem Jahr konnten sie fast keinen Auftritt verfolgen. Erst um halb eins in der Nacht, beim letzten Act, den österreichischen Schock-Rockern BZFOS (was sich hinter dem Akronym verbirgt, dürfen Sie gern selbst herausfinden), gönnten sich die beiden eine halbe Stunde Festivalatmosphäre. Es ist der Preis für ein reibungslos organisiertes Event, den die Macher aber gerne zahlen.
Das Festival wurde dabei einmal mehr seinem Ruf als Gemeinschaftsprojekt gerecht. „Omas gegen Rechts“ und der Zora e. V. aus Halberstadt boten ein Kinderprogramm an, das von den knapp 100 jungen Gästen auch sehr gut angenommen wurde. Auch die auftretenden Bands und Künstler:innen waren angetan von der besonderen Atmosphäre und dem ehrenamtlichen Engagement, das ein solches Festival in der Provinz möglich macht.
Matthias Behne, lautwieleise.de
Obi mit Joshi von ZSK.
Besonders erwähnenswert war dabei ein solidarischer Akt mehrerer Bands: Sie verzichteten auf Teile ihrer Gage zugunsten der örtlichen Kindertagesstätte, die von der Schließung bedroht ist. Das Festival wird so auch zu einem Verstärker für wichtige regionale Anliegen und untermalt damit seine Stellung als wichtiger (kultur-)politischer Akteur. Das Vertrauen und der Zuspruch für das Festival ist auch weiterhin groß: Bereits über 200 Tickets für die kommende Ausgabe konnten in den Tagen nach dem Event verkauft werden – ein deutliches Zeichen der Wertschätzung für dieses kleine, aber feine Festival. Natürlich stehen zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Bands für das kommende Jahr fest, doch der Termin für die dann 13. Auflage steht bereits und die Vorbereitungen dafür beginnen schon jetzt.
