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Nagel in der Landschaft

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Sachsen-Anhalt-Journal - „Ritual“ (Nr. 4, 2023)

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Antje Pochte

„gustaf nagel“ Förderverein Arendsee e.V. Heimatmuseum Arendsee Seehäuser Str. 4 39619 Arendsee

info@gustaf-nagel.de

Themen

Geschichte Landschaft, Natur & Umwelt

Zu Gustaf Nagels Lebzeiten verknüpften Zeitgenoss:innen verschiedene Landschaftstypen mit völkischen und antisemitischen Auffassungen von Rasse.

„Deutschland war mir fremd. Ich hatte keine Wurzeln, wollte keine haben. Die heimatliche Scholle hielt mich nicht, meistens zog ich den Asphalt fremder Großstädte vor, oder den hellen Sand einer südlichen Küste.“ Die Landschaften Scholle, Asphalt und Sand, die Klaus Mann in diesem kosmopolitischen Bekenntnis erwähnt, waren zu Gustaf Nagels Zeit ideologisch verknüpft mit verschiedenen Lebensentwürfen und gesellschaftlichen Gruppen. Im völkischen Milieu war insbesondere das Motiv der heimatlichen Scholle beliebt; dem Ackerboden, den Zeitgenoss:innen Gustaf Nagels mit bäuerlichem Leben assoziierten und als vermeintlich urdeutsche Landschaft – vielleicht noch neben dem Wald, dem man in der völkischen Ideologie der Zeit eine Bedeutung als germanisches Heiligtum zuschrieb – identifizierte. Die große, grüne Altmark gilt heute noch vielen als eine Art Arkadien, idyllisch und unberührt, das entdeckt und erobert werden soll. Die Metapher der als ursprünglich wahrgenommenen bäuerlichen Scholle wirkt offensichtlich nach.

Gesunde Scholle, kranker Asphalt

Den Asphalt der Großstädte, deren Abschaffung sich auch die 1924 von Gustaf Nagel gegründete deutsch-kristliche folkspartei auf die schwarz-weiß-rote Fahne geschrieben hat, hielt die antisemitische und sozialdarwinistische Propaganda der Zeit für die Heimat der Jüd:innen, einen Hort der Krankheit und somit Gegenentwurf zur vermeintlich gesünderen, bäuerlichen Scholle, auf der man Wurzeln schlagen kann. Auf Asphalt ist das hingegen unmöglich. Die Bewohner:innen der Großstädte und mondäne Kosmopoliten wie Klaus Mann galten den Anhänger:innen völkischer Ideologien deshalb als entwurzelt und entartet. Den Sand setzten Zeitgenoss:innen zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit den Wüsten im Heiligen Land und im übertragenen Sinne mit dem Judentum gleich. Klaus Mann, der sich in seiner Aussage auf die Strände der Côte d’Azur bezieht, ist die Doppeldeutigkeit all dieser Metaphern sicherlich bewusst.

Die sandige Böden der Altmark und das Wasser des Arendsees müssen Gustaf Nagel wie eine Allegorie auf das Heilige Land und den See Genezareth vorgekommen sein.

Gustaf Nagel war zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Wanderung nach Palästina ins Heilige Land aufgebrochen, die ihn unter anderem durch Italien geführt hatte. Nach seiner Rückkehr kaufte er schließlich das als Gustaf-Nagel-Areal bekannte Gelände am Arendsee. Die sandigen Böden in der nördlichen Altmark müssen dem Wanderprediger wie eine Allegorie auf das Heilige Land vorgekommen sein, der Arendsee wie der See Genezareth. Der Bau seines Seetempels symbolisiert seine Verbindung mit der Landschaft, die ihn umgibt und die fortan ein zentraler Bestandteil seiner religiösen Lehre sein wird. Nach biblischem Vorbild tauft er Menschen im Seewasser, darunter auch seine eigenen Kinder. Tiefe Gewässer, und Seen insbesondere, stehen im Volksglauben für die Verbindung zur Unterwelt. Auch um den Arendsee mit seinen unterirdischen Salzstöcken ranken sich heute noch Sagen um vermeintliche Dämonen, die in der Tiefe leben.