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Mit viel Motivation (yea!) zur Magdeburger Solawi Vielfeld
Die Idee zur Gründung einer Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) in Magdeburg entseht irgendwann im Jahr 2018. Eine kleine Gruppe engagierter Menschen hat einen Vortrag zum Thema „Solidarische Landwirtschaft" organisiert. Zu diesem Zeitpunkt gibt es in Magdeburg und der näheren Umgebung noch keine Solawi.
Eine Idee fängt an zu keimen
Die nächsten Solawis liegen ein ganzes Stück entfernt, nämlich in Leipzig, im Wendland oder in Eggersdorf. Die kleine Gruppe wächst und trifft sich in gemütlicher Runde in einer WG, wo schließlich die Idee geboren wird, selbst eine Solawi zu gründen. In dem ersten Protokoll vom November 2018 ist unter anderem zu lesen: „Fast alle haben Kapazitäten, Zeit und viel Motivation jetzt richtig einzusteigen, yea!“.
Was ist eine Solawi?
In einer Solidarischen Landwirtschaft werden Nahrungsmittel lokal und nachhaltig angebaut und gemeinschaftlich geteilt. Das Besondere an einer Solawi ist die solidarische Zusicherung der finanziellen Mittel für den Anbau. Das passiert immer ein Jahr im Voraus und unter Berücksichtigung der finanziellen Situation aller Mitglieder des Vereins, der in der Regel als Teil der Solawi gegründet wird. So entsteht finanzielle Sicherheit für den anbauenden Betrieb, so dass dieser sich auf den Anbau konzentrieren kann. Der Verein kümmert sich unter anderem um die Gewinnung von Mitgliedern, die im Laufe des Jahres wöchentlich Anteile dessen bekommen, was geerntet wird. Damit trägt die Gemeinschaft auch das Risiko von Ernteausfällen, die zum Beispiel infolge heißer und trockener Sommer oder Unwettern entstehen können. Auf der anderen Seite kann, wenn alles gut läuft, auch eine reiche Ernte entstehen, und der anbauende Betrieb bei Bedarf durch die Vereinsmitglieder unterstützt werden. Nahrungsmittel werden auf diese Weise zu Lebensmitteln, die vom Markt entkoppelt einen festgelegten Tauschwert verlieren. Wolfgang Stränz vom Buschberghof hat es so formuliert: „Die Lebensmittel verlieren ihren Preis und erhalten so ihren Wert zurück.“
Wie ging es bei der Magdeburger Solawi weiter?
Die Mitglieder haben im Februar 2019 ein organisatorisches Kick-Off-Treffen einberufen, um sich über ihre Vision, einen Zeitplan und ihre weiteren Schritte auszutauschen. Dafür fahren sie für ein Wochenende aufs Land. Die Gruppe hat zu dem Zeitpunkt weder Hof noch Land, dafür allerdings ein ziemlich klares Bild davon, was sie erreichen will. Es herrscht Aufbruchstimmung und gute Laune. Ihre Wünsche für ihre Solawi sind groß.
Es soll ökologisch angebaut werden, möglichst mit einem geschlossenen Nährstoffkreislauf. Die Solawi soll in überschaubarer Zeit mit dem Fahrrad erreichbar sein. Es soll eine vielfältige Auswahl (alter) Gemüsesorten angebaut werden. Ein familiäres und gemeinschaftliches Miteinander, faire Arbeitsbedingungen, politische Umweltbildung ist den Mitgliedern wichtig. Zwischendurch kochen sie und lassen es sich gut gehen. Hoch motiviert kehren sie von diesem Treffen zurück nach Magdeburg und bilden verschiedene Arbeitsgruppen: eine AG für Gartenplanung und Land- und Hofsuche, eine AG für die interne Struktur und die Öffentlichkeitsarbeit und eine AG für Rechtsform und Finanzen. Es ist eine sehr intensive Zeit, in der sie sich alle zwei Wochen in großer Runde und zwischenzeitlich zusätzlich in den AGs treffen. Erste Ergebnisse lassen nicht lang auf sich warten: Ein Selbstverständnis wird entworfen, der erste Newsletter entsteht, sie einigen sich auf den Namen „Vielfeld“ und es gibt verschiedene Strategien, wie und wo sie nach geeignetem Land suchen wollen. Nachdem sie sich an die Öffentlichkeit gewandt haben, brauchen sie allerdings nicht allzu lange warten, bis einzelne Landwirte Kontakt aufnehmen und ihr Interesse signalisieren, mit ihnen zusammen eine Solawi aufzubauen.
Kooperation mit einem Gemüseanbaubetrieb in Gerwisch
Einer der Landwirte, die sich bei ihnen meldet, ist Sebastian Zeitz vom Gerwischer Gemüsegarten. Gerwisch liegt in unmittelbarer Nähe zu Magdeburg und kommt der Gruppe daher als Ort sehr gelegen. Genügend Ackerfläche, sogar Demeter-bio-zertifiziert, ist vorhanden. Das Schicksal meint es gut mit der jungen Solawi Magdeburg und sie vereinbart ein Treffen vor Ort mit dem Landwirt, um sich kennenzulernen und auszutauschen. Der gute Eindruck bleibt bestehen: Eine Zusammenarbeit mit dem Gerwischer Gemüsegarten könnte tatsächlich Früchte tragen. Nach kurzer Bedenkzeit und ein paar Mal drüber schlafen entscheidet sich die Gruppe geschlossen für Sebastian Zeitz und seinen Betrieb. Die Solawi Vielfeld hat eine weitere Hürde auf dem Weg zu einer funktionierenden solidarischen Landwirtschaft genommen.
Was „solidarisch“ in diesem Zusammenhang bedeutet, wird allerdings schon bald auf eine erste Probe gestellt. Sebastian Zeitz hat sich auf seinem Hof verletzt und ist nur eingeschränkt arbeitsfähig. Anfallende Arbeiten müssen allerdings weiterhin erledigt werden. Wie verhält sich eine Solawi in dieser – für sie neuen – Situation? Ihr wollt eine solidarische Landwirtschaft? Dann zeigt, dass es euch ernst damit ist! Es ist ihnen ernst. Sie schaffen es, in den kommenden Wochen Unterstützung für den Hof aus ihren eigenen Reihen zu organisieren.
Im Herbst – die erste Saison steht vor der Tür – ist noch eine Menge zu organisieren: Ein Verein muss gegründet, der Anbau und die finanziellen Mittel geplant und ein Vertrag ausgearbeitet werden. Außerdem braucht die Solawi Solidarmitglieder, die den Anbau der kommenden Saison finanzieren und dafür wöchentliche Gemüseanteile bekommen.
Die erste Saison mit 45 Ernteanteilen, und Corona
Die Solawi Vielfeld braucht nicht nur Solidarmitglieder, die dem Gemüseanbaubetrieb so viel Vertrauen schenken, dass sie ihr im Voraus Geld dafür zusichern, um ein Jahr lang wöchentlich Gemüse zu erhalten. Das Gemüse muss auch in Verteilstationen gerecht verteilt werden. Dafür gibt es bis dato noch keinen konkreten Plan.
Die Arbeitsgruppen erarbeiten eine Satzung und Geschäftsordnung, so dass einer Vereinsgründung („Vielfeld e. V.“) im Januar 2020 nichts mehr im Wege steht, und nehmen die Homepage der Solawi in Betrieb. Gleichzeitig machen sie sich viele Gedanken darüber, welche Kulturen sie gern anbauen würden, wann diese gesät und gepflanzt werden müssten und wie hoch die Kosten sein würden. Mit wie vielen Ernteanteilen soll die Solawi Vielfeld starten? Was trauen sich alle Beteiligten in ihrer ersten gemeinsamen Saison zu? Sie einigen sich schließlich auf etwa 45 Ernteanteile, für die sie im Anschluss die entsprechenden Mitglieder finden müssen. Sie organisieren eine Veranstaltung, rühren kräftig die Werbetrommel und fiebern ihrer ersten Mitgliederversammlung im März entgegen. Das Frühjahr kann kommen. Die Solawi Vielfeld ist bereit.
Doch es kommt anders als erwartet. Ein Virus mit der Bezeichnung SARS-CoV-2 erlangt Berühmtheit und wirbelt die Pläne der Solawi ziemlich durcheinander. Das hat nicht nur Auswirkungen auf diese und weitere Mitgliederversammlungen, sondern auch auf die Einsätze in den Gemüse-Verteilstationen, auf die regelmäßig stattfindenen Plena, die Arbeitseinsätze und die Treffen auf dem Hof in Gerwisch, die eigentlich ein wesentliches Element der Solawi hätte sein sollen. Inzwischen startet die Solawi mit mehr als 100 Ernteanteilen in ihre vierte Saison. Zu ihren zwei Verteilstationen ist eine dritte hinzugekommen, direkt auf dem Hof in Gerwisch.
Mit welchen Herausforderungen ist die Solawi konfrontiert?
Bedenkt man, dass sich der menschliche Körper – seine Zellen – ständig erneuert und die Lebensmittel, die man zu sich nimmt, die Bausubstanz liefern, ist es erstaunlich, wie wenig Aufmerksamkeit und Wertschätzung viele diesen Lebensmitteln schenken. Wie wenig Interesse man daran zeigt, wo diese Lebensmittel herkommen und wie sie gewachsen sind. Die Mitglieder der Solawi interessiert das. Sie verbringen Zeit auf dem Hof, helfen bei Arbeitseinsätzen und tauschen sich regelmäßig mit Sebastian Zeitz aus. Dabei lernen sie von dem, was er durch Erfahrungen oder im Austausch mit anderen Landwirt:innen gelernt hat und erfahren, mit welchen Herausforderungen er konfrontiert ist. In der Presse kann viel darüber gelesen werden, dass kleinbäuerliche Betriebe aufgeben und von größeren Betrieben, teils sogar als Investitionsobjekte, aufgekauft werden.
Wirtschaftliche Förderprogramme tragen mit dazu bei. Der Anbau von Gemüse, will man es bodenschonend und ökologisch machen, ist anstrengend. 40 Arbeitsstunden pro Woche reichen kaum. Es ist vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass kleinbäuerliche Betriebe aufgeben oder vom Ökoanbau wieder auf konventionellen Anbau umsteigen. Ökoanbau fördert nachgewiesenermaßen das Leben in und über dem Boden. Das ist gut für den Erhalt der Artenvielfalt und steigert diese sogar. Man schmeckt den Unterschied auch, wenn man ökologisch angebaute Lebensmittel direkt mit solchen aus dem Supermarktregal vergleicht, die über große Entfernungen transportiert und teils außerhalb der Saison angebaut wurden.
Es motiviert alle Beteiligten, dass sie durch die Solawi faire Arbeitsbedingungen fördern und dem Leistungsdruck in der Landwirtschaft und der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen entgegenwirken. Durch das Anbauen von Zwischenkulturen ist der Boden, den die Solawi bewirtschaftet, humusreicher geworden. Mulchschichten schützen ihn vor Windverwehungen, die durchaus auf Nachbarfeldern beobachtet werden können.
Dennoch. Magdeburg ist eine Stadt mit über 240.000 Einwohnern. Viele von ihnen haben noch nie etwas von einer Solidarischen Landwirtschaft gehört, sind skeptisch oder zögern, Mitglied zu werden. Entsprechend schwierig ist es für die Solawi, die für die jährlich anstehende Finanzierung notwendige Anzahl an Mitgliedern zu gewinnen. Die Arbeitseinsätze auf dem Land sind ebensowenig Selbstläufer. Dabei schaffen viele Hände viel. Und am Ende profitiert die gesamte Gemeinschaft davon, wenn es eine reiche Ernte gibt.
Die Mitglieder der Solawi Vielfeld sind davon überzeugt, dass die Zukunft der Landwirtschaft solidarisch ist. Sie haben ein Interesse daran, dass unsere Lebensmittel auch weiterhin aus der Region kommen und ökologisch unter fairen Arbeitsbedingungen angebaut werden. Den nachkommenden Generationen möchten sie einen Boden hinterlassen, der ihnen ausreichend Lebensmittel in derselben Qualität schenkt, die heutige Menschen genießen dürfen.