
Matthias Behne/lautwieleise
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Mit Barbara ins Kurbad
Die Landesbergparade in Bad Suderode ist ein modernes Ritual in altem Gewand: Erst nach der Jahrtausendwende hat Mario Steder die historisch anmutende Prozession zu Ehren der Bergleute ins Leben gerufen. Aber seine Idee hat sich bewährt. Auch nach dem Tod ihres Initiators sind der Grubenlichtermarkt und die Harzer Bergparade ein Publikumsmagnet.

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Die Bergmannsuniform war bereits im 19. Jahrhundert ein Statusnachweis. In ihrer schwarzen Erscheinung Ende des 18. Jahrhunderts in Sachsen entwickelt, wurde die Tracht im 19. Jahrhundert vor allem in Preußen gepflegt und zur verpflichtenden Anschaffung für die Bergleute. Die Tracht mit Schachthut mit dem Federbusch und dem Kittel mit den 29 Knöpfen war für die Arbeiter extrem teuer und erhielt eine entsprechende Pflege. Im 20. Jahrhundert wandelte sich die Uniform: 1950 wird im Auftrag des Ministeriums für Schwerindustrie eine neue Tracht entwickelt, die dem sowjetischen Pendant gleicht und nun auch für Frauen gilt. Eine Kontinuität dieser Berufskleidung gibt es bei den Bergparaden jedoch nicht. Stattdessen orientieren sich die Uniformen am preußischen Modell vom Ende des 19. Jahrhunderts. Diese zeitliche Einordnung und damit das Reenactment einer bestimmten Zeit könnte in Bad Suderode durchaus an den örtlichen Kontext gebunden sein – das Kurbad Bad Suderode erhielt den Kurpark 1911, also noch zur Kaiserzeit. Die Gründe für diese historische Referenz sind aber vor allem pragmatischer Natur, denn diese Tracht sei über den Trachtenversand kostengünstig zu beschaffen, erklären einige der Bergleute. Eine echte Bergmannsuniform ist nämlich auch heute noch eine kostspielige Angelegenheit.
Die Anspannung ist den Bergleuten anzusehen. Die Männer und Frauen aus Bad Suderode halten kurz Rücksprache mit ihren Gästen, wie dem Berghauptmann aus dem Mansfelder Land. Weitere Bergkameraden treffen im leerstehenden Kurzentrum ein und steuern ihr Wissen zum korrekten Ablauf des bevorstehenden Umzugs bei.
Die Landesbergparade in Bad Suderode ist die einzige vorweihnachtliche Bergparade im Harz. Aus ganz Sachsen-Anhalt – aus Zielitz, Nachterstedt oder Bitterfeld – und aus dem thüringischen Nordhausen sind Bergleute angereist, um sich zur Barbarafeier zusammenzufinden und ihren Berg- und Hüttenverein bei der Parade zu präsentieren. Das leerstehende Kurzentrum ist für dieses Treffen extra beheizt. Im Umkleideraum ziehen sich die Kinder weiße Kittel über die Funktionskleidung und Wollsocken und verwandeln sich in sogenannte Grubenzwerge. Sie testen die Froschlampen, eine typische Form des Grubenlichts. Die Knappen legen ihre Uniformen an und lagern Säbel. Ein Steiger erklärt, dass die Knöpfe seines Kittels die 29 Lebensjahre der Heiligen Barbara symbolisieren, der Schutzheiligen der Bergleute.
Draußen ist es noch hell, die Stufen der Kurhausterrassen sind schneebedeckt. Trotz der Kälte erinnert die Stimmung auf dem Grubenlichtermarkt an eine Grillparty. Während Bergmannsaufzüge in Sachsen- Anhalt besonders 2023 zu zahlreichen Jubiläen der Berufsvereine stattfinden, ist diese Veranstaltung ungewöhnlich. Weil in Bad Suderode ganze Familien mitlaufen, ist das Durchschnittsalter im Gegensatz zu den Kameraden aus dem Umland auffällig niedrig. Viele Kinder sind als Bergzwerge verkleidet.

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„Zunächst wurde die Initiative von den Mitgliedern der Traditionsvereine belächelt.“
Doch die Parade im schneebedeckten Kurort hat bereits Tradition: Seit 2006 organisiert Mario Steder, Mitglied im Harzclub, aus Begeisterung für den Bergbau mit dem Bad Suderöder Zweigverein eine Landesbergparade. Er war selbst nie Bergmann, sondern an historischen Themen interessiert, wie dem Mittelalter oder eben den Bergleuten und ihren historischen Bergmannsuniformen. Unweit des Kurorts existierte zudem ein altes Bergwerk, in dem im 16. Jahrhundert Kupfer- und Eisenerz gefördert werden sollten. Weil die Bergleute aber nur auf Flussspat, Kupferkies und Arsenkies stießen, wurde das Bergwerk schon im 17. Jahrhundert wieder geschlossen. Die Lessinghöhle – die nach einem Forscher benannt ist, der 1877 die Stollen vermaß – nutzen heute nur noch Fledermäuse. Dieser Ortsbezug auf eine authentische Bergbaugeschichte war für Mario Steder aber Anlass genug, einen Traditionsverein der Berg- und Hüttenleute Bad Suderode zu initiieren.
Die Initiative, eine Bergparade zu veranstalten, gründet auf dem Enthusiasmus eines einzelnen Bergbaufans, der die Vereinsmitglieder des Harzclubs motivierte. Echte Bergleute gibt es in dem Bad Suderöder Verein allerdings keine. Stattdessen laden sie die Mitglieder der Bergmanns- und Hüttenvereine in Sachsen-Anhalt ein – und die kommen gerne zu der ritualisierten Parade, die Nicht-Bergleute ihnen zu Ehren ins Leben gerufen haben.
„Zunächst wurde die Initiative von den Mitgliedern der Traditionsvereine belächelt“, gibt Stefan Rade zu. Er hat die Organisation der Bergparade kurzfristig im Winter 2022 übernommen, weil Mario Steder, der sich bestens mit der Bekleidung, den Attributen und Ritualen der Bergleute auskannte, überraschend im Juni zuvor verstorben ist. „Inzwischen schmeichelt es den älteren Herren aber, dass die Jüngeren ihre Tradition fortsetzen und sie mit einbeziehen“, ist sich Stefan Rade sicher. Den Ablaufplan stimmt er im Vorfeld mit den ehemaligen Bergmännern ab. Aktive Bergleute sind im Harz eine absolute Rarität geworden.

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Die Bergparade hat sich inzwischen zu einem Höhepunkt im Bad Suderöder Veranstaltungskalender gemausert.

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Um den Altar der Heiligen Barbara, die Schutzheilige der Bergleute, dreht sich die Parade im Wesentlichen.
Prozession mit dem Altar der Heiligen Barbara
Die Vereinskolleg:innen von Mario Steder setzen alles daran, die komplizierte Veranstaltung mit ihren zahlreichen Regeln auch nach dessen Tod zu stemmen. Tatsächlich sind der Grubenlichtermarkt und die Bergparade am dritten Adventssonntag einer der Höhepunkte des Bad Suderöder Festkalenders. Jede helfende Hand in dem Quedlinburger Ortsteil wird gebraucht, um die Mitglieder der Bergmanns- und Hüttenvereine zu begrüßen und die rund 1.000 Besucher:innen zu koordinieren. Einige nehmen zeremonielle Rollen am Altar der Heiligen Barbara ein, die Schutzheilige der Bergleute, um die sich die Bergparade im Wesentlichen dreht. Abgeordnete der Bad Suderöder Berg- und Hüttenknappschaft tragen den Altar zur Andacht in den Altarraum der Neuen Kirche Bad Suderode. In der Chorapsis positionieren sich die Fahnenträger der weiteren Bergvereine. Während der Andacht werden die Kerzen des Altars entzündet und seine vier Träger schreiten aus der Kirche und führen die anschließende Parade an. Bis diese startet muss noch ein Hornsignal geblasen werden. Der Zug, geordnet nach den Vereinen mit ihren Fahnen, setzt sich in Richtung Kurterrassen in Bewegung. Dort werden die Vereine namentlich aufgerufen und begrüßt. Begleitet von der Musik des Spielmannszugs stellen sich die Bergleute auf den Terrassenstufen auf und singen gemeinsam mit dem Publikum das Steigerlied.
Im Anschluss feiern die geladenen Bergleute die sogenannte Mettenschicht – so nennen sie die letzte gefahrene Schicht vor Weihnachten. Die Parade ist geschafft. Die Heilige Barbara wartet in einsamer Erhabenheit aufs nächste Jahr.

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Die Prozession führt zu den Kurterrassen.