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Lokal und weltoffen wie die Elbe
Christian Antz hat die touristische Wahrnehmung Sachsen-Anhalts in den drei Jahrzehnten seit der Wende so sehr geprägt, wie kaum ein anderer. Trotzdem ist er durchaus kritisch mit dem Land, dessen Engagementbotschafter er seit 2023 ist – vor allem mit dessen Bindestrich. Das Sachsen- Anhalt-Journal hat ihn am Magdeburger Elbufer getroffen, um über Straßen, Bänder, Flüsse und Striche zu sprechen.

Das Blaue Band ist eine touristische Marke des Landes Sachsen-Anhalt, die 2004 eingeführt wurde.
„Die Elbe ist der Bindestrich, der alles zusammenhält.“
Nur wenige Orte in Sachsen-Anhalt sind wohl besser geeignet als Kulisse für ein Interview über das Blaue Band, als die Elbe auf Höhe des Domfelsens in Magdeburg. An der Stelle, wo Sachsen-Anhalts größter Strom einen ausladenden Schlenker nach Westen macht, um kurz die Magdeburger Altstadt zu berühren, ist Christian Antz zuhause. An den wenigen Wänden im Wohnzimmer des Kunsthistorikers, an denen keine deckenhohen Bücherregale stehen, hängen Bilder italienischer Orte und archäologischer Stätten. Es ist gemütlich.
Das Blaue Band – eigentlich eher ein Netz der verschiedenen Wasserwege im Land Sachsen-Anhalt – ist eine der ersten touristischen Routen, die Christian Antz während seiner Tätigkeit als Referatsleiter im Sachsen-Anhalter Wirtschaftsministerium aufgebaut hat. „Die Grundidee touristischer Routen, wie dem Blauen Band oder der Straße der Romanik, nämlich dass Tourist:innen entlang einer linearen Strecke von Anfang bis Ende reisen, würde man heutzutage sicherlich anders machen“, sagt er. Obwohl er die Verpackung heutzutage kritisch sieht, ist Christian Antz von ihrem Inhalt nach wie vor überzeugt: „Wir haben sensationelle Flüsse und Seen in Sachsen-Anhalt“, ist er sich sicher: „Vor allem die Elbe prägt dieses Land wie sonst nichts. Sie ist der Bindestrich, der alles zusammenhält.“
Genau dieses verbindende Element des Wassers hatte er damals vor Augen, als er das Blaue Band ins Leben rief. Historisch bezeichnet das Blaue Band in erster Linie die Ehrung, die dem Schiff zuteilwurde, das am schnellsten den Atlantik überqueren konnte. Doch Christian Antz zufolge zeichnen sich auch die sachsen-anhaltischen Gewässer vor allem dadurch aus, Menschen zusammenzubringen, auch wenn ihnen jede:r auf eine andere Art begegnet: „Der Naturschützer freut sich über die steigende Biberpopulation, Sportbegeisterte sehen die wunderbaren Möglichkeiten, Wassersport zu betreiben, der Radfahrer freut sich über Radfahrwege und Unternehmensvorstände loben die großartige Verbindung nach Hamburg und in die Welt.“ „Im Grunde haben wir das ganze Land unseren Flüssen zu verdanken“, so der Tourismusexperte. Weder die Hansestädte der Altmark, noch die Weinorte an Saale und Unstrut, die Salzstadt Halle oder die Handelsstadt Magdeburg wären ohne Flüsse entstanden, erklärt Christian Antz, „von den einzigartigen Kulturlandschaften, die diese Städte umgeben, ganz zu schweigen.“
Trotz aller Besonderheiten Sachsen-Anhalts hadert er mit dem Bundesland, wenn er es durch eine touristische Brille betrachtet: „Eines muss man festhalten: Sachsen-Anhalt ist kein Tourismusland.“ Er meint damit das administrative Gebilde, wie es nach der Wiedervereinigung entstanden ist, ähnlich den Bindestrichländern Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz: „Im Tourismus sprechen wir eher von Destinationen, also Erlebniswelten. Und die einzige touristisch relevante Destination ist der Harz. Vielleicht noch die Weinbauregion Saale-Unstrut.“ Das habe Christian Antz zufolge vor allem mit der Identifikation der Einheimischen zu tun. Es fehle vielfach ein authentisches Heimatgefühl, was wiederum schlecht sei für das Tourismusmarketing. Der Harz habe in diesem Punkt mehr als 100 Jahre Vorsprung. „Im besten Fall wissen die Besucher:innen gar nicht, dass sie in Sachsen-Anhalt sind“, fasst er das
Dilemma der Touristik-Branche hierzulande zusammen.
Von der Saar an die Elbe
Der studierte Kunsthistoriker Christian Antz wurde im saarländischen Losheim am See geboren und ist 1992 nach Magdeburg gezogen, um im Wirtschaftsministerium verschiedene touristische Landesprojekte aufzubauen, darunter die Straße der Romanik und das Blaue Band. Aktuell ist er Engagementbotschafter im Bereich Tourismus und Professor für Tourismus an der Fachhochschule Westküste im holsteinischen Heide.

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Christian Antz In Magdeburg
Dem tatsächlichen Charme der sachsen-anhaltischen Landschaft tue die unvorteilhafte Namensgebung allerdings keinen Abbruch, ist sich Christian Antz sicher. Vor allem die Gewässer im Land haben ihm zufolge seit 1990 einen bemerkenswerten Wandel vollzogen: „Kurz nach der Wende hat die Elbe gestunken. An Tourismus war da nicht zu denken. Heutzutage ist es wunderbar, an der Elbe entlang zu flanieren.“ Sein Lieblingsort am Blauen Band sei das Ferchland bei Parey, schwärmt er: „Dort hat man einen wunderschönen Blick über die Elbe. Da denkt man: Das kann nicht Sachsen-Anhalt sein.“
Aber auch in der Landeshauptstadt Magdeburg genießt er es, das Elbufer vor der Haustür zu finden: „Die Elbe ist Magdeburgs Seele. Die erste Furt über die Elbe ist die Keimzelle, aus der Magdeburg entstanden ist. Und nach wie vor wollen die Menschen – nicht nur hier in Magdeburg – am Wasser leben.“ Viele Parks, Brücken und Flaniermeilen tragen diesem Bedürfnis der Menschen inzwischen Rechnung. Der italienische Künstler Maurizio Nannucci fasste dieses neue Lebensgefühl 2008 in einer Kunstinstallation zusammen. In rot-blau leuchtenden Schriftzügen stand über der Magdeburger Hubbrücke: „Von soweit her bis hierhin“ – „Von hier aus noch viel weiter“.
„Wenn ich türkische Familien am Elbufer grillen sehe, denke ich: ‚Das ist es!‘“
„Heimatvereine und die Tourismusbranche sind einander insofern ähnlich, als dass sie beide daran arbeiten, zu definieren, was Heimat ist“, meint er, „und ich denke, dass insbesondere Flüsse eine verbindende Kraft entfalten können. Wir denken Heimat viel zu oft sehr segmentiert – das halte ich für typisch deutsch. Flüsse hingegen sind an der Quelle sehr lokal und zur Mündung hin werden sie groß und öffnen sich der Welt – das ist doch eine schöne Metapher. Wenn ich an der Elbe entlang spaziere und türkische Familien am Elbufer grillen sehe, dann denke ich: ‚Ja, genau das ist es: gutes Leben.‘“