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Lasst uns eine Mühle bauen!

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Sachsen-Anhalt-Journal - „Osten“ (Nr. 2, 2024)

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Themen

Denkmal & Baukultur Dorfmitte & Soziokultur Handwerk & Kunsthandwerk Industriekultur Landschaft, Natur & Umwelt

Der östlichste Mitgliedsverein des Landesheimatbundes ist nicht nur wegen seiner geografischen Lage besonders: Der Mühlen- und Dampfmaschinenverein Plossig e.V. hat sich ursprünglich gegründet, um die Plossiger Mühle zu retten. Als sich herausstellt, dass diese aber gar nicht gerettet werden will, sucht sich der Verein kurzerhand eine andere Mühle in Not, zerlegt das Baudenkmal in seine Einzelteile und baut es in Plossig wieder auf.

Der Mühlen- und Dampfmaschinenverein Plossig e.V. ist ein kleiner gemeinnütziger Verein mit 28 Mitgliedern. Der ursprünglich von sieben Leuten gegründete Verein ist inzwischen eine tatkräftige Gruppe, in der sich Menschen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen – Maurer, Fliesenleger, Schlosser, Bauingenieur, Biologe – aus Plossig, Jessen und Berlin zusammengetan haben. Der Verein wurde 2016 gegründet, um die dem Verfall preisgegebene Bockwindmühle in Plossig zu retten. Nach monatelangen Verhandlungen lehnt die Mühlenbesitzerin das Vorhaben jedoch ab. Was nun? Wie es der Zufall so will, hat ein Bekannter des damaligen Vereinsvorsitzenden Wilfried Pötzsch eine Mühle zu verschenken! Die Steinitzer Mühle steht ebenfalls unter Denkmalschutz und verfällt zusehends. Ein Gutachten, das der Mühlenbautechniker Rüdiger Hagen daraufhin erstellt, belegt aber, dass das Innere der Mühle in einem sehr guten Zustand ist. Deshalb entscheidet sich der Verein dazu, das großzügige Geschenk anzunehmen und die Steinitzer Mühle ab- und im 20 Kilometer entfernten Plossig wieder aufzubauen.

Zu diesem Zeitpunkt wissen die Vereinsmitglieder nur wenig von Mühlen, weshalb sie Fachleute ausfindig machen, um von ihnen zu lernen. Der Verein tritt dem Arbeitskreis Mühlen Sachsen-Anhalt als Teil der Deutschen Gesellschaft für Mühlenkunde und -erhaltung bei und bekommt dort viele Tipps und Unterstützung bei der Festlegung der bevorstehenden vier Bauabschnitte. Zeitgleich finden umfangreiche Vorarbeiten auf dem Pachtgrundstück in Plossig direkt neben der alten Mühle statt: Beispielsweise muss zuerst ein Mühlenberg aufgeschüttet werden, bevor dort eine Mühle stehen kann. Im Oktober 2017 bauen die Mühlenbaufirma Blümner aus Bismark/ Altmark und die Vereinsmitglieder die Mühle in Steinitz in nur fünf Tagen zurück und bringen alle Teile in ein Zwischenlager. In Eigenleistung bauen die Vereinsmitglieder die Fundamente und am 26. Oktober 2018 feiert der Verein schließlich die Grundsteinlegung.

Mühlen und Dampfmaschinenverein Plossig e. V

Als die Mühle steht, sind alle Zweifel ausgeräumt

Der zweite Bauabschnitt, also der Aufbau, verlangt den Vereinsmitgliedern eine Menge ab! Ohne großzügige Privatdarlehen aus dem Umfeld des Vereins wäre der notwendige Eigenanteil für die bewilligte EU-Förderung für den Verein nicht zu wuppen gewesen. Parallel zu den Bauvorbereitungen bemüht sich der Verein darum, Spenden zu akquirieren und organisiert mehrere Veranstaltungen.

Einige Menschen aus der Region stehen dem Projekt des Mühlenwiederaufbaus zu diesem Zeitpunkt kritisch gegenüber: „Warum macht ihr das? In der Umgebung von Plossig stehen doch so viele Mühlen, die man besichtigen kann“, ist eine Aussage, die die Vereinsmitglieder in der Anfangszeit häufig zu hören bekommen. Als 2019 das Mühlenhaus errichtet ist, wandelt sich die öffentliche Meinung jedoch schlagartig. Vielleicht, weil nun leibhaftig im Ortsbild zu sehen ist, dass der Mühlen- und Dampfmaschinenverein Plossig seinen Worten auch Taten folgen lässt, unterstützen viele Privatleute und die Sparkassenstiftung Wittenberg den Verein mit Geld- oder Sachspenden. Zum Richtfest am 20. September 2019 reisen rund 600 Besucher aus der ganzen Region an, um die neue Plossiger Sehenswürdigkeit zu besichtigen. Und im Gegensatz zu vielen Mühlen in Nachbarorten ist die neue Plossiger Mühle vollständig und voll funktionsfähig.

LEADER-Förderung bringt neuen Schwung

Nachdem die ersten beiden Bauabschnitte – Rückbau und Aufbau – von Fördermitteln gedeckt waren, ist die Vereinskasse vor Beginn des dritten Bauabschnitts – dem Innenausbau samt Installation der Mühlentechnik – leer. Unter den Vereinsmitgliedern ist die Enttäuschung groß! In Ermanglung anderer finanzieller Mittel legen sie im Jahr 2020 eine unfreiwillige Pause ein und widmen sich stattdessen der Gestaltung des Mühlenhofgeländes. Durch die Corona-Pandemie, deren Ausbruch genau in diese Zeit fällt, ziehen außerdem viele Vereine und Privatleute ihre Förderanträge zurück. Das Vereinsleben droht komplett stillzustehen, als im Frühjahr 2021 überraschend die Anfrage von der Lokalen Aktionsgruppe Wittenberger Land kommt, ob der Verein die beantragte LEADER-Förderung noch benötige. Aber natürlich!

Im Sommer fangen die Zimmerei Stefan Leder und der Mühlenbauer Andreas Düntzsch an, die Technikkomponenten einzubauen. Fast ein Jahr dauern die Arbeiten, bei denen die Vereinsmitglieder tatkräftig helfen. Es werden Eiserbalken, Bremsanlage, Sackaufzug, Askaniasichter und das Mahlwerk eingebaut. Im März 2022 montiert der Verein innerhalb von nur zwei Tagen die Flügel und verbindet das Mahlwerk mit dem Antrieb, sodass schon im April der erste Probelauf erfolgen kann. Die Mühle ist jetzt windgängig. Mit einem Probemahlen weist der Verein die Funktionsfähigkeit der Mühle nach.

Endlich kann der Mühlen- und Dampfmaschinenverein Plossig das kulturhistorische Denkmal der breiten Öffentlichkeit voller Stolz präsentieren! Am Pfingstmontag 2022, an dem der Deutsche Mühlentag begangen wird, findet die feierliche Eröffnung der Mühle statt. Über 1000 Besucher sind der Einladung gefolgt und stehen Schlange, um an einer der ersten Führungen in dem neuen Plossiger Wahrzeichen teilzunehmen.

Seitdem ist der Jahreskalender gut gefüllt. Der Verein lädt jedes Jahr an Christi Himmelfahrt in die Offene Mühle ein, feiert am Pfingstmontag – dem Deutschen Mühlentag – das Mühlenfest, gibt regelmäßig thematische Führungen und liest zu Halloween Gruselgeschichten in der Mühle vor. Der Verein ist auf die Einnahmen aus den Veranstaltungen angewiesen, um die laufenden Kosten zu decken.

Momentan bauen die Vereinsmitglieder den Mühlenhof weiter aus: In Kürze sollen hier ein Backhaus und Toiletten entstehen. Als Angebot für Fahrradtourist:innen steht dort eine Schutzhütte mit E-Bike-Ladestation bereit. Der Verein leistet auch Hilfestellungen bei der Erhaltung der Dampflokomobile im Sägewerk Schmidt. Der sogenannte Heideturm, ein ehemaliger Trafoturm, der nun als Lebensraum für bestimmte Tierarten dient, verbindet die Themen Umweltschutz und Tourismus.