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Geoinformationen – Grundbausteine im Umgang mit archäologischen und historischen Quellen
Geoinformationen spielen eine herausragende Rolle für die Orts- und Regionalforschung. Der vorliegende Beitrag umreißt einige Grundzüge bei der Arbeit mit Geoinformationen als Baustein archäologischer und historischer Quellen.
Der Inhalt des Beitrags orientiert sich dabei an den folgenden Leitfragen:
— Was sind Geoinformationen?
— Welche Relevanz besitzen Geoinformationen beim Umgang mit archäologischen und historischen Quellen?
— Welche Arten von Geoinformationen sollten im Rahmen einer archäologischen und historischen Quellenarbeit berücksichtigt werden?
— Was sollte beim Umgang mit Geoinformationen beachtet werden?
— Wie können aus der Verknüpfung von Geoinformationen neue Wissenszusammenhänge generiert werden?
Unter Geoinformationen oder Geografischen Informationen werden nach den gängigen Definitionen alle „raumbezogenen (georeferenzierten) Informationen“ zusammengefasst. Martin Kappas beschreibt sie folgendermaßen: „Die wesentliche Eigenschaft von Geografischen Informationen wird durch deren Raumbezug bestimmt. Im Unterschied zu herkömmlichen Informationen, die sich z. B. nur auf das Alter, Größe, Geschlecht etc. eines Menschen beziehen, beinhalten ‚geografische‘ Informationen eine räumliche Zuordnung. Solche Informationen bzw. Daten beziehen sich auf einen bestimmten Ort, d. h. daß [sic] sie auf einer Karte und damit auch in der Realität eindeutig zugeordnet werden können – man sagt, sie sind ‚georeferenzierbar.‘ “1
Geoinformationen bilden die Grundlage zur räumlichen Verortung von Objekten und Sachverhalten im physischen Raum. Geoinformationen setzen Objekte und Sachverhalte entweder mithilfe von primärer Metrik, wie der Angabe von Koordinaten, in einen absoluten Bezug zur Erdoberfläche und somit auch in einen direkten räumlichen Bezug zu anderen Objekten und Sachverhalten oder sie schaffen mithilfe sekundärer Metrik einen relativen bzw. indirekten Bezug zu anderen Informationen, beispielsweise über einen Straßennamen, eine Hausnummer oder eine Beschreibung („östlich von…“). Daraus folgt, dass Geoinformationen mitunter sehr unterschiedliche Aussagequalitäten hinsichtlich der Lage im Raum besitzen. Eine Koordinatenangabe in einem gängigen und nutzbaren Koordinatenbezugssystem (KBS), wie z. B. das World Geodetic System 1984 (WGS 84) oder das Europäische Terrestrische Referenzsystem 1989 (ETRS89), erlaubt eine sehr präzise Lokalisierung von Objekten und Sachverhalten. Dagegen beschreibt ein Straßenname mitunter einen Bereich von mehreren Kilometern Länge und ist somit für eine genaue Verortung von Informationen ungeeignet.


Abbildungen 1 und 2: Das Dorf Österitz (Ldkr. Wittenberg) im Luftbild und auf einem Messtischblatt. Nördlich des Dorfes ist im Luftbild ein inzwischen verschwundener Altweg zu erkennen, welcher auf dem historischen Messtischblatt von 1874 noch verzeichnet ist.


Abbildung 3 und 4: Verschiedene Abbildungsmöglichkeiten von Landschaftsmerkmalen erlauben unterschiedliche Erkenntnisse. Hier ein digitales Geländemodell und eine digitale Karte am Beispiel der Umgebung von Naumburg (Saale).
Digitale Orthofotos (DOP)
sind von Flugzeugen, Drohnen oder Satelliten aufgenommene Bilder der Erdoberfläche, welche durch verschiedene technische Verfahren optisch entzerrt und georeferenziert werden. Dies ermöglicht eine lagegenaue Verortung der aus den Bilddaten gewonnenen Informationen sowie deren Anwendung innerhalb eines Geografischen Informationssystems. Durch Luftbildbaufnahmen können u. a. Bewuchsanomalien erkannt werden, die von der Oberfläche aus nicht zu erkennen sind. Sie dienen als Indiz für untertägige Strukturen im Erdreich, wie z. B. Besiedlungen, Bauwerke, Befestigungen, Straßen und Bergbaureste.
Airborne-Laserscanning (ALS)
ist ein Flugobjekt-gestütztes LiDAR (Light Detection and Ranging)-Verfahren, bei dem mittels eines Laserstrahls die Erdoberfläche abgetastet und über lagegenaue Höheninformationen deren Struktur erfasst wird. Aus den daraus gewonnenen Punktdaten werden digitale Oberflächenmodelle (DOM) und digitale Geländemodelle (DGM) in unterschiedlichen Gitterweiten (bspw. 1 m = DGM 1, 5 m = DGM 5, 100 m = DGM 100) berechnet. Durch ALS werden obertägige Strukturen sichtbar. Im Gegensatz zu Luftbildaufnahmen durchdringen die Laserscans Bewuchsschichten und liefern so eine detailreiche Abbildung der Geländeoberfläche.
Quellen, welche raumbezogene Informationen beinhalten, werden an dieser Stelle als Geoinformationsträger bezeichnet.2 Von besonderem Interesse für historische, historisch-geografische und archäologische Fragestellungen sind analoge und digitale topografische Karten, digitale Orthofotos (DOP) und digitale Geländemodelle (DGM). Digital vorliegende Geoinformationen und Geoinformationsträger werden unter dem Begriff Geodaten zusammengefasst. Die Erfassung, Verarbeitung, Analyse und Präsentation von Geodaten erfolgen in der Regel innerhalb Geografischer Informationssysteme (vgl. Beitrag Katrin Moeller, S. 58). Werden einem Objekt oder Sachverhalt raumbezogene Informationen zugewiesen, so spricht man von Georeferenzierung oder Geokodierung („Georeferenz“ = Raumbezug). In Zusammenhang mit digitalen Orthofotos und Geländemodellen findet eine Geokodierung bereits während der Erfassung der Bild- und Messdaten statt. Digitalisierte historische Karten können nachträglich georeferenziert werden. Dies wiederum ermöglicht eine räumliche Projektion von Informationen innerhalb digitaler Geoinformationssysteme (GIS).
Geoinformationen können als Grundbausteine bei der Arbeit mit archäologischen und historischen Quellen bewertet werden. Dies betrifft sowohl deren Erfassung und Verarbeitung, als auch die Analyse und Präsentation der Quellen. So kann beispielsweise eine Wiederauffindbarkeit und Prüfbarkeit von inventarisierten Kulturdenkmalen und somit auch das daran geknüpfte Wissen nur durch eine genaue räumliche Verortung gewährleistet werden. Darüber hinaus bilden raumbezogene Informationen, d. h. das Wissen um den genauen Standort und die genaue Ausdehnung von Denkmalen eine wesentliche Grundlage für deren Pflege und Schutz. Durch eine räumliche Verknüpfung von Quellen, d. h. deren räumliche Kontextualisierung, lassen sich des Weiteren neue Wissenszusammenhänge generieren. Und schlussendlich können raumbezogene Informationen dabei helfen, entsprechende Wissenszusammenhänge nachvollziehbar zu machen und zu vermitteln, bspw. durch Kartenabbildungen. Die genannten Aspekte berühren hier nur einen Bruchteil dessen, was Geoinformationen für den Umgang mit archäologischen und historischen Quellen bedeuten. Sie machen aber deutlich, dass der Raumbezug auf allen genannten Ebenen (Erfassung, Verarbeitung, Analyse, Präsentation) Relevanz besitzt.
Ein besonderes Augenmerk gilt der Erfassung und Verknüpfung (Verarbeitung) von Geoinformationen, da diese Arbeitsprozesse die Basis für eine fundierte Analyse sowie anschließende Synthese (im engeren Sinne Interpretation) und Präsentation von archäologischen und historischen (raumbezogenen) Wissenszusammenhängen bilden.
Die wohl älteste Form oder Methode, raumbezogene Informationen zu erfassen und zu kommunizieren, ist die beschreibende. Informationen über die Lage von Objekten und Sachverhalten können dabei mündlich, textlich oder ikonografisch übermittelt werden. Trotz der Unschärfe des Raumbezugs lassen sich auch aus Beschreibungen, insbesondere aus Texten, historisch und archäologisch relevante raumbezogene Informationen exzerpieren. Gegenüber der Beschreibung basiert die Vermessung auf der Ermittlung konkreter Messpunkte gegenüber einem Festpunkt – sie erlaubt demnach eine besonders hohe Aussagequalität hinsichtlich einer räumlichen Verortung von Objekten oder Sachverhalten. Dies gilt sowohl für eine analoge und digitale Vermessung von der Erdoberfläche aus (bspw. topografische Landesaufnahme, Landes-, Kataster- und Bauvermessung sowie geologische und bodenkundliche Kartierungen) als auch für solche der radar- und fotogestützten Fernerkundung (Airborne Laserscanning, Orthofotografie).
Wie bereits zu Beginn erwähnt, können Geoinformationen bzw. deren Träger in verschiedenen Formaten vorliegen. Je nach Herkunft, Alter und Zweck der entsprechenden Trägermedien können den Informationen mit Raumbezug unterschiedliche Qualitäten beigemessen werden. Dies betrifft in besonderem Maße historische topografische Karten. Obgleich entsprechende Trägermedien einen außerordentlichen Wert für archäologische und historische Fragestellungen besitzen, bleibt zu beachten, dass diese Karten mitunter ein höchst subjektives Abbild der Landschaft darstellen, bedingt etwa durch unterschiedliche technische Möglichkeiten bei der Erfassung von Inhalten sowie durch verschiedene Interessen, Ziele und Weltanschauungen der Kartenersteller:innen. Der Inhalt historischer Karten kann somit – und dies muss nicht einmal das Resultat unterschiedlicher Erfassungszeiträume sein – enorm voneinander abweichen. Auch die geografische Genauigkeit von Objekten kann sich im Rahmen mancher Fragestellungen als unzureichend erweisen. Der Grad der Ungenauigkeit zeigt sich nicht zuletzt beim Versuch, historische Karten zu georeferenzieren und mit anderen raumbezogenen Informationen zu korrelieren. So sind Lageabweichungen von mehreren hundert Meter dabei keine Seltenheit. Trotz der genannten Einschränkungen besitzen historische Karten ein enormes Potential für die Erfassung historisch und archäologisch relevanter Informationen. Durch die Verknüpfung mit weiteren Informationsträgern, bspw. Flurkarten (Liegenschaftskataster), Orthofotos und digitalen Geländemodellen, lässt sich das aus historischen Karten gewonnene Wissen in vielen Fällen präzisieren und kontextualisieren (vgl. Beitrag Annett Rose, S. 62). Daher ist es wichtig, bei der Erarbeitung raumbezogener Informationen auf eine möglichst breite Quellenbasis zurückzugreifen. Wie eine solche Verknüpfung von Informationen mittels frei zugänglicher Online-Ressourcen gelingen kann, lässt sich exemplarisch an folgendem Fallbeispiel nachskizzieren.
Im Verlaufe des 16. bis 18. Jahrhunderts bildete die Leipzig-Lüneburger Heer- und Frachtstraße eine der wichtigsten Fernverbindungen des Mittelelbe-Saale-Gebietes.3 Sie verband den Messestandort Leipzig mit dem norddeutschen Raum. Viele der im 18. Jahrhundert als Chaussee ausgebauten Teilstrecken werden noch heute (in überprägter und modernisierter Form) frequentiert. Ein nicht unerheblicher Teil des Wegestrangs wurde hingegen im Verlaufe des 18. und 19. Jahrhunderts allmählich zu Gunsten anderer Verkehrsverbindungen aufgegeben. Einen guten Überblick über die Anrainersiedlungen der Leipzig- Lüneburger Straßen liefert die „Ausführliche topografische Beschreibung des Herzogthums Magdeburg und der Grafschaft Mansfeld, Magdeburgischen Antheils“ von Johann Ludwig Heineccius aus dem Jahr 1785.4 Darin werden auch die im heutigen Saalekreis gelegenen Ortschaften Oppin und Petersberg als Anrainerorte genannt: „Oppin, […] an der Berliner Heer- und Poststraße nach Halle, so wie auch an der Lüneburger Straße über Magdeburg nach Leipzig“5 und „Petersberg, […] an der Lüneburger Straße nach Leipzig“.6
Nun lassen sich aus den von Heineccius gemachten Angaben keine präzisen Informationen zum ehemaligen Verlauf der Straße zwischen Oppin und Petersberg ableiten. Es liegt nahe, hier zunächst auf historisches Kartenmaterial zurückzugreifen. In der „Geographischen Delineation der Ämter Delitzsch, Bitterfeld und Zörbig“ aus dem Jahr 1750 findet sich der besagte Abschnitt als geradlinige Verbindung zwischen den Ortschaften Oppin und Petersberg (Abbildung 5). Ein präziseres Bild vermittelt dagegen ein Kartenblatt aus dem Jahr 1801 (Abbildung 6) – hier lässt sich der Verlauf der Straße von Oppin aus über Pranitz und westlich des großen Bergholzes bis zum Petersberg nachverfolgen.

Abbildung 5: Ausschnitt der Karte „Geographische Delineation derer Aemter Doelitsch Bitterfeld Zörbig“ aus dem Jahr (etwa) 1750 in der Online-Anzeige des digitalen Kartenarchivs (Datenrepositorium Share_it) der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt. Als Eintrag finden sich die für jene Zeit bedeutsamen überregionalen Wege, u. a. die Leipzig-Lüneburger Heerstraße zwischen Oppin und Petersberg.

Abbildung 6: Ausschnitt der „Special Karte von den zum Herzogthum Magdeburg gehörigen Saal Kreis“ aus dem Jahr 1801 in der Online-Anzeige des Digitalen Kartenarchivs (Datenrepositorium Share_it) der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt. Der Verlauf der Leipzig-Lüneburger Heerstraße zwischen Oppin (Pranitz) und Petersberg ist als gestrichelte Linie dargestellt.
Bereits weniger als ein Jahrhundert später scheint der Abschnitt nicht mehr frequentiert worden zu sein, wie die Messtischblätter des Preußischen Generalstabes nahelegen. Frequentiert wurde nach 1850 offenbar nur noch ein kleines Teilstück westlich des Bergholzes (Abbildung 7). Heute ist auch dieser Teil weitestgehend durch landwirtschaftliche Maßnahmen überprägt. Doch die Anlage der Straße und ihre Jahrhunderte währende Frequentierung gingen nicht spurlos am Untergrund vorbei. So geben sich im aktuellen Orthofoto (2023) des Landesamtes für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt die Reste der Straße als helle und dunkle Bewuchsanomalien zu erkennen (Abbildung 8). Während die hellen Bereiche den teilweise befestigten und durch die Nutzung verfestigten Straßenverlauf kennzeichnen, handelt es sich bei den dunklen, sehr schmalen Anomalien um die ehemaligen straßenbegleitenden Gräben. Mittels dieser lässt sich die ungefähre Breite der Straße für diesen Teilabschnitt rekonstruieren – er beträgt in etwa 13 Meter (Abbildung 9).

Abbildung 7: Ausschnitt des historischen Messtischblattes (Halle-Nord, neue Blatt-Nr. 4437; basierend auf der Landesaufnahme des Königlich Preußischen Generalstabes im Jahr 1851, herausgeben 1872, berichtigt 1876) im Virtuellen Kartenforum der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Erkennbar ist ein Teil der Leipzig-Lüneburger Heerstraße von Petersberg (Saalekreis) in Richtung Südosten verlaufend. Westlich des Bergholzes endet der Straßeneintrag an einem Nord-Süd verlaufenden Weg.

Abbildung 8: Ausschnitt des aktuellen digitalen Orthofotos (DOP 2023) des Landesamtes für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt im Sachsen-Anhalt-Viewer mit Kennzeichnung des Verlaufs der Leipzig-Lüneburger Heerstraße (rote Linie).

Abbildung 9: Ausschnitt des aktuellen digitalen Orthofotos (DOP 2023) des Landesamtes für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt im Sachsen-Anhalt-Viewer. Im Bewuchs des Feldes sind deutlich die parallel verlaufenden Gräben des ehemaligen Weges erkennbar. Der maximale Abstand der Gräben zueinander beträgt etwa 13 m.
Mit diesen aus Ortholuftbildern gewonnenen Informationen lassen sich wiederum Hinweise zu den naturräumlichen Begebenheiten sowie den Umständen der Straßennutzung in besagtem Bereich ableiten. Dazu lohnt ein Blick in C. H. Wilckens Werk „Verbesserung des Staats aus mathematischen und öconomischen Gründen“ aus dem Jahr 1765.7 Darin beschreibt er unter § 51 die Beschaffenheit von Heerstraßen vor dem Hintergrund ihrer Frequentierung und den örtlichen Begebenheiten. So weist er u. a. darauf hin, dass in nassen Bereichen eine Anlage von Gräben zu beiden Seiten des Weges erforderlich ist, um so ein Abfließen des Wassers zu gewährleisten. Dies betrifft in gleicher Weise einen hangparallelen Streckenverlauf: „Gehet aber die Straße neben einer Anhöhe her; so muß zwar zwischen dieser und dem Wege gleichfalls ein Graben gezogen werden, damit das von der Höhe kommende Wasser dem Wege keinen Schaden thun, sondern abziehen könne.“8
Wir dürfen also davon ausgehen, dass der in Abbildung 8 erkennbare Abschnitt durch Nässe gefährdet war. In der Tat quert die Leipzig-Lüneburger Heerstraße in diesem Bereich den nördlichen Ausläufer des nunmehr landwirtschaftlich überprägten Teufelsgrundes. Letzterer entwässert das Gebiet westlich des Bergholzes nach Süden in die Götsche. Im Orthofoto geben sich die Reste dieser Niederung als dunkle fächerförmige Anomalien zu erkennen, im digitalen Geländemodell als flächige Senken (Abbildung 10).

Abbildung 10: Ausschnitt des digitalen Geländemodells 2 (DGM 2) des Landesamtes für Vermessung und Geoinformation Sachsen- Anhalt in der open-source GIS-Software Quantum GIS. Hier können die xyz-Rasterdaten u. a. als schattiertes Relief und Höhenmodell (Farben) visualisiert werden. Anhand der genannten Visualisierungen wird die Beziehung des Straßenverlaufs (gestrichelte Linie) zum umgebenen Gelände sichtbar. Im Hangbereich des südlich angrenzenden Teufelsgrundes beschreibt die ehemalige Straße einen leichten Bogen nach Nordosten. Genau in diesem ausweichenden Teilabschnitt sind im Orthofoto straßenbegleitende Gräben (durchgezogene Linien) erkennbar.
Dies erklärt zugleich, warum die Straße an besagter Stelle einen leichten Bogen beschreibt, denn man wich dem nordöstlichen Ausläufer der Niederung aus. Hinweise zu den Umständen der Frequentierung an besagter Stelle liefert indes der zu beobachtende Abstand der Gräben zueinander: 13 Meter. Dies entspricht in etwa 3 Ruten (1 sächsische Rute = 4,531 Meter)9. Eine Rute entspricht nach Wilcken wiederum einer Wagenbreite. Das wiederum heißt für die Anlage einer Heerstraße: „Ihre Breite muß wenigstens zwo Ruthen angelegt werden: damit zween Wagens auf derselben einander bequem ausweichen können.“10
Da die Breite in unserem Fallbeispiel 3 Ruten beträgt, dürfen wir annehmen, dass hier eine weitere Fahrbahn als Ausweichmöglichkeit, d. h. ein Nebenweg, geschaffen wurde. Auch dies könnte mit einer erhöhten Gefährdung durch Nässe zusammenhängen. Erwähnenswert erscheint abschließend die Beobachtung, dass sich ein sehr kurzer Abschnitt des Straßenverlaufs als „Flurrelikt“ in den Informationen des amtlichen Liegenschaftskatasters erhalten hat (Abbildung 11).

Abbildung 11: Ausschnitt der Flurstücke des amtlichen Liegenschaftskatasters des Landesamtes für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt im Sachsen- Anhalt-Viewer. Ein kleiner Abschnitt der Leipzig-Lüneburger Heerstraße, wie er im Ortholuftbild von 2023 erkennbar ist (rote Linie, Abb. 8), hat sich dicht westlich einer Nord-Süd verlaufenden Wegeverbindung als Relikt (Flurstück 26/11) in den Informationen des Liegenschaftskatasters erhalten.
Anhand des vorangegangenen Beispiels wird deutlich, wie anfänglich sehr vage und unpräzise Aussagen zur Leipzig-Lüneburger Heerstraße zwischen Oppin und Petersberg durch das Verknüpfen verschiedener Geoinformationsträger in hohem Maße verdichtet werden können. Die auf diese Weise gewonnenen Informationen können als Ausgangsbasis und Anregung für weitere Detailuntersuchungen zum Streckenverlauf nordöstlich von Halle (Saale) verwendet werden. Dies unterstreicht abermals den enormen Wert von Geoinformationen beim Umgang mit archäologisch und historisch relevanten Quellen. Ein wesentliches Instrument bieten dabei die wachsenden Bestände an digitalen und digitalisierten Trägermedien, die bereits heute in großen Teilen für eine Online- und Desktop-basierte Anwendung zur Verfügung stehen.

Abbildung 12: Übersicht über historische Kartensammlungen.
Genutzte Online-Ressourcen
— Digitales Kartenarchiv (Datenrepositorium Share_it) der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (ULB): https://opendata.uni-halle.de (03.07.2023) — Virtuelles Kartenforum der Sächsischen Landesbibliothek — Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB): https://kartenforum.slub-dresden.de (03.07.2023) — Sachsen-Anhalt-Viewer des Landesamtes für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt (LVermGeo): https://www.geodatenportal.sachsen-anhalt.de/mapapps/resources/apps/viewer_v40/index.html?lang=de (03.07.2023) — Geoportal des LVermGeo (kostenfreie Geobasisdaten): https://www.lvermgeo.sachsen-anhalt.de/de/kostenfreie_geobasisdaten_lvermgeo.html (03.07.2023)
Martin Freudenreich M.A.
studierte Archäologie und Ethnologie. Er arbeitet am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt im Bereich Landesaufnahme und GIS. ⇆ mfreudenreich@lda.stk.sachsen-anhalt.de
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1)
Martin Kappas: Geographische Informationssysteme. Braunschweig 2001, S. 10. Vgl. auch Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Geoinformationen. URL: https://www.bmi.bund. de/DE/themen/moderne–verwaltung/geoinformationen/geoinformationen–node.html (03.07.2023).
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2)
Der Einfachheit halber werden unter Geoinformationen im Folgenden sowohl die Trägermedien als auch die aus ihnen ableitbaren raumbezogenen Informationen verstanden.
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3)
Vgl. dazu und zum folgenden Abschnitt: Bernd W. Bahn, Wernfried Fieber: Eine Altstraße durch Mitteldeutschland. Zum Verlauf der verschwundenen Fernstraße Lüneburg–Leipzig–Böhmen. In: Hans–Jürgen Beier, Sven Ostritz u.a. (Hg.): Finden und Verstehen. Festschrift für Thomas Weber zum sechzigsten Geburtstag (Beiträge zur Ur–und Frühgeschichte Mitteleuropas 66). Langenweißbach 2012, S. 369–389.
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4)
Johann Ludwig Heineccius: Ausführliche topografische Beschreibung des Herzogthums Magdeburg und der Grafschaft Mansfeld, Magdeburgischen Antheils. Berlin 1785.
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5)
Ebd., S. 406–407.
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6)
Ebd., S. 409.
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7)
Christian Heinrich Wilcken: Die Verbesserung des Staats aus mathematischen und öconomischen Gründen, oder vollständiger Unterricht von Landes–Vermessungen, und daher entstehender vortheilhafteren Einrichtung der allgemeinen Landes–Oeconomie und des Cameral–Wesens. Frankfurt, Leipzig 1765.
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8)
Ebd., S. 67.
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9)
Helmut Kahnt, Bernd Knorr: Alte Maße, Münzen und Gewichte. BI–Lexikon. Leipzig 1986, S. 260.
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10)
Wilcken: Verbesserung, S. 67.