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Frauen, die Bäder bauen

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Sachsen-Anhalt-Journal - „Wasser“ (Nr. 1, 2024)

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Jacqueline Brösicke

Volksbad Buckau c/o Frauenzentrum Courage Karl-Schmidt-Straße 56 39104 Magdeburg

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0391 – 4048089

Themen

Denkmal & Baukultur Geschichte Gleichberechtigung & Inklusion

Die öffentliche Badekultur in Mitteleuropa kam und ging, aber nur wenige Badehäuser in Sachsen-Anhalt überdauerten die Jahrhunderte. Zwei Gebäude in Salzwedel und Magdeburg sind heute Baudenkmäler, denen tatkräftige Frauen neues Leben einhauchen.

Seit Jahrzehnten befindet sich das alte Badehaus am östlichen Jeetzeumfluter in Salzwedel im Dornröschenschlaf. Die klassizistischen Holzsäulen an der Flussseite verweisen auf einen Ursprung des Gebäudes im frühen 19. Jahrhundert, aber an architektonische Vorbilder im antiken Griechenland erinnert das Badehaus ansonsten kaum noch. Der Portikus auf der öffentlich zugänglichen Ostseite ist Anfang des Jahres 2024 großflächig mit Graffiti bemalt und regelmäßig treffen sich die Jugendlichen der Stadt in dem überdachten, aber verwahrlosten Säulengang unmittelbar an der Stadtmauer, um ungestört zu rauchen oder Musik zu hören. Rechts und links des Gebäudes wuchern wilde Brombeer- und Holundersträuche entlang der Jeetze, deren Wasser in diesem Januar bis an die Uferkante heranreicht. Die flussseitigen Holzdielen knarzen, wenn sich Fußgänger:innen mit schnellen Schritten an den jungen Leuten vorbeistehlen. Der enge Weg vor dem alten Badehaus von der nahegelegenen Goethestraße nur zu Fuß über eine Holzbrücke erreichbar. Die vier Meter hohe, historische Stadtmauer und das dichte Dach der Baumkronen werfen ganzjährig Schatten, sodass dieser Ort immer etwas dunkler ist als andere Plätze in der altmärkischen Hansestadt. Im Gegensatz zu den Salzwedeler Kirchtürmen und Stadttoren fristet das alte Badehaus ein Dasein als unentdeckte Sehenswürdigkeit. Doch seit einigen Monaten tut sich etwas.

„Die Bauarbeiten des Vorbesitzers waren im Grunde eine auf halbem Wege abgebrochene OP am offenen Herzen.“

Bianka Niemeyer, Bauingenieurin

Alice Bondeur (links) und Bianka Niemeyer (rechts) sanieren gerade das Salzwedeler Badehaus, um Anfang 2025 mit ihrem Architektenbüro dort einzuziehen.

Die Bauingenieurin Bianka Niemeyer (54) und die Architektin Alice Bondeur (44) haben das Baudenkmal im Sommer 2022 gekauft. „Wir waren auf der Suche nach einem repräsentativen Gebäude für unser Architektenbüro“, rekonstruiert Bianka Niemeyer im Gespräch mit dem Sachsen-Anhalt-Journal, wie es zu dem Kauf kam. Schließlich fiel die Wahl auf das alte Badehaus, das zu dem Zeitpunkt seit einigen Jahren ungenutzt war. Der Vorbesitzer – ein Architekt aus dem Wendland – hat das alte Badehaus um die Jahrtausendwende von der Stadt Salzwedel gekauft „und dann angefangen es zu sezieren“, wie die beiden Frauen es rückwirkend nennen. „Es war im Grunde eine OP am offenen Herzen, die auf halbem Wege abgebrochen wurde“, fasst Bianka Niemeyer die Baufortschritte des Vorbesitzers zusammen.

Alice Bondeur hat 2002 ihre Diplomarbeit über das Salzwedeler Badehaus geschrieben und darf also schon vor dem Eigentümerwechsel als Expertin für das Baudenkmal gelten. 2018 machen sie und ihre Geschäftspartnerin sich mit dem eigenen Architektenbüro Planwerk Salzwedel GmbH selbstständig und verantworten schnell einige der prestigeträchtigsten Hoch-, Tief- und Straßenbaustellen in der Hansestadt, darunter jüngst die Sanierung der Loofschen Villa, einem historischen Stadthaus an der Marienkirche, sowie der Ausbau der südlichen Burgstraße in der denkmalgeschützten Altstadt. Seinen Firmensitz hat das erfolgreiche Unternehmen momentan noch in einem freistehenden Nachbargebäude der Salzwedeler Comeniusschule, das inzwischen aber zu klein geworden ist. In etwa einem Jahr wollen Alice Bondeur und Bianka Niemeyer deshalb in das fertig sanierte Badehaus umziehen.

Der Jeetzeumfluter auf der Höhe des Salzwedeler Badehauses wurde seit jeher für Aktivitäten im und auf dem Wasser genutzt, wie diese Privataufnahme von 1912 zeigt.

Öffentliche Bäder sind im frühen 19. Jahrhundert revolutionär

Seit fast 200 Jahren steht das Badehaus an der Salzwedeler Stadtmauer. Der Salzwedeler Arzt Dietrich Christoph Seebode baute es 1827 an der Rückseite des Grundstücks seines Elternhauses in der Wollweberstraße. Nach seinem Medizinstudium in Göttingen und Berlin kehrt er 1824 in seine Heimat zurück und bringt die neuesten Erkenntnisse zur Körperhygiene aus der Großstadt mit. Er errichtet sein Badehaus vermutlich, um neben seiner schlecht bezahlten Tätigkeit als Armenarzt bei der Stadt ein privates Nebeneinkommen zu erzielen. Während wohlhabendere Bevölkerungsschichten für die Benutzung der warmen Wannenbäder und Dampfstuben bezahlen, gewährt der Arzt seinen ärmeren Patient:innen einen kostenlosen Zugang. Kurze Zeit später erweitert Dietrich Christoph Seebode sein privat betriebenes Badehaus um eine Flussbadeanstalt in dem Jeetzeumfluter vor dem Badehaus. Was aus heutiger Sicht nach einem wenig beeindruckenden Badevergnügen klingt, ist damals revolutionär.

Ostansicht des Salzwedeler Badehauses, Mitte des 20. Jahrhunderts

Die seit der Antike in Europa weitverbreitete Badekultur ist mit dem Ausbruch der großen Seuchen und Pandemien des Mittelalters im 16. Jahrhundert weitgehend verschwunden. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts – mehrere Cholerapandemien wüten zu dieser Zeit in Europa – verbreitet sich die wissenschaftliche Erkenntnis, dass hygienische sanitäre Einrichtungen wichtig sind für die Volksgesundheit: In Wien entdeckt der Ungar Ignaz Semmelweis Ende der 1840er Jahre, dass Desinfektion die Ausbreitung von Krankheiten eindämmt. 1854 weist der britische Arzt John Snow erstmals erfolgreich nach, dass verunreinigtes Brunnenwasser im Londoner Stadtteil Soho eine Cholerawelle unter den Einwohner:innen des Viertels verursacht. Während Dietrich Christoph Seebode das Salzwedeler Badehaus zu diesem Zeitpunkt nach fast drei Jahrzehnten Betrieb wieder aufgibt und kurz danach in Frankfurt am Main verstirbt, eröffnet in Hamburg ein öffentliches Bad im modernen Sinne mit 65 Badewannen – für eine Stadt, die damals schon 166.000 Einwohner hat. Fünf Jahre später wird in Magdeburg das erste Hallenschwimmbad in der heutigen Materlikstraße eröffnet.

Der Laubengang auf der Ostseite des Salzwedeler Badehauses wurde um die Jahrtausendwende erneuert.

Laut dem Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt haben heute nur noch 3.638 Personen in Sachsen-Anhalt zuhause kein fließendes Wasser – das betrifft fast ausschließlich die Bewohner:innen vereinzelter Höfe und abgelegener, kleiner Dörfer. Ihnen gegenüber stehen 99,9 Prozent der Sachsen-Anhalter:innen, die an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen und somit nicht etwa auf einen Brunnen angewiesen sind. Seitdem Mietwohnungen standardmäßig mit Badezimmern ausgestattet sind, haben Badehäuser und öffentliche Bäder als Orte der Volkshygiene weitgehend ausgedient. In Magdeburg waren mehrere Dienstleistungen der öffentlichen Hand – etwa Stadtteilbibliotheken und Armenküchen – in den Gebäuden vieler Volksbäder zusammengefasst, so zum Beispiel im Volksbad Buckau und dem Gröninger Bad im Stadtteil Salbke, das ein Verein ebenfalls als Veranstaltungsort nutzt wird.

Das Volksbad Buckau im Magdeburger Stadtsüden beherbergt das Frauenzentrum Courage und bietet Räume für mehrere Kulturvereine.

Das 1895 errichtete Volksbad Buckau im Magdeburger Südosten beherbergt inzwischen das Frauenzentrum Courage und ein soziokulturelles Zentrum, in dem sich verschiedene Kulturvereine und kulturelle Initiativen treffen: Die Magdeburger Liederfreunde, der Töpferverein Figur und Topf e.V., mehrere Chöre und Fotoclubs, sowie die Tanzgruppe Swing 39 sind die Mitbewohner:innen der Fraueninitiative Magdeburg e.V., die das Stadtteilzentrum im alten Volksbad kurz nach der Jahrtausendwende von der Stadt übernommen und renoviert hat. Der Verein hat bereits während der Hausbesetzerjahre der Nachwendezeit ein Frauenzentrum in der Porsestraße, nur wenige Häuserblocks vom heutigen Standort entfernt, betrieben. In unmittelbarer Nachbarschaft zu der Musikschule und der Jugendkunstschule im Thiem20, dem Literaturhaus Magdeburg, dem Hausprojekt Thiembuktu, sowie dem Jugendclub HOT Alte Bude befindet sich das kombinierte Frauen- und soziokulturelle Zentrum nun aber in guter Gesellschaft.

Rebellische Vergangenheit: Die Wände in einem Backstage-Raum sind mit unzähligen Konzertplakaten der letzten Jahre tapeziert.

Bäder sind je nach historischem Kontext Bordelle, Hausarztpraxen oder Sportstätten

Öffentliche Duschen, oder „Volksbrausebäder“, wie sie anfangs genannt werden, präsentiert der Berliner Arzt Oskar Lassar 1883 auf der Berliner Hygieneausstellung. Er ist es auch, der maßgeblich zur Verbreitung von Volksbädern beiträgt, die Ende des 19. Jahrhunderts überall in den schnell wachsenden Arbeitervierteln der deutschen Großstädte ihre Türen öffnen. In Magdeburg gibt es bis Ende der 1920er sechs Volksbäder, darunter das Volksbad Buckau. Im historischen Kontext ist es nicht immer möglich, die Konzepte „Badestube“, „Badehaus“, „Kurbad“, „Volksbad“, „Stadtbad“ und „Hallen- bzw. Schwimmbad“ klar voneinander abzugrenzen – die Begriffe werden teilweise synonym gebraucht, selbst wenn Bäder mit derselben Bezeichnung einander in Funktion und Aussehen nur wenig ähneln: Der Beruf des Baders bzw. der Badefrau war beispielsweise bis ins 18. Jahrhundert ein Heilberuf ohne akademische Ausbildung. Mittelalterliche Badestuben würde man aus heutiger Sicht eher als Bordell bezeichnen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind öffentliche Bäder in der Hauptsache Sport- und Freizeitstätten – die Notwendigkeit der Körperpflege spielt nur noch eine untergeordnete Rolle.

„Der Buschfunk funktionierte in der DDR immer gut.“

Jacqueline Brösicke, Fraueninitiative Magdeburg e.V. und Geschäftsführerin Frauenzentrum Courage

Jacqueline Brösicke ist Mitgründerin der Fraueninitiative Magdeburg e.V. und Geschäftsführerin des Frauenzentrums Courage im Volksbad Buckau.

Die Ursprünge der Fraueninitiative Magdeburg reichen zurück in die achtziger Jahre, erzählt Jacqueline Brösicke im Gespräch mit dem Sachsen-Anhalt-Journal. Sie sitzt in dem gemütlichen lila Café im Hochparterre, das während der unzähligen Konzerte und Workshops im Volksbad Buckau als Veranstaltungsgastronomie dient. „Schon zu DDR-Zeiten habe ich mit einer Freundin eine unabhängige Frauengruppe in Räumen der Kirche gegründet“, erinnert sich die Geschäftsführerin, „wir waren nicht gläubig, oder so. Aber Lesbengruppen gab es sonst nicht in Magdeburg und das musste heimlich passieren.“ Trotzdem erfuhren die lesbischen Frauen der Stadt schnell von dem neuen Treffpunkt: „Eine Sache, die in der DDR immer gut funktionierte, war der Buschfunk“, so Jacqueline Brösicke. Selbst aus den kleinsten Dörfern im weitläufigen Magdeburger Umland seien die Frauen angereist. 1989, kurz vor dem Fall der Mauer, schloss sich die bis dahin lose Gruppe mit den Frauen für den Frieden – einer politischen Gruppe, die sich vor allem gegen den Wehrdienst für Frauen engagierte – zusammen und ließ die Fraueninitiative Magdeburg e.V. 1990 offiziell als Verein eintragen. Die farbenfrohen Wände im Innern des Volksbads lassen die rebellischen Kindheitsjahre des Trägervereins noch erahnen, auch wenn die makellose Gebäudesanierung verrät, dass es sich mittlerweile um einen hochprofessionellen Veranstaltungsort handelt – nach wie vor mit unzähligen Veranstaltungs- und Vernetzungsangeboten, die sich explizit an queere Menschen richten, darunter den FLINTA*-Chor und regelmäßige Workshops, Vorträge und Filme. Um die Anliegen queerer Menschen in die Landespolitik zu tragen, haben Jacqueline Brösicke und ihre Mitstreiterinnen 1996 den Lesben-, Schwulen- und Queerpolitischen Runden Tisch (LSQpRT) Sachsen-Anhalt mitgegründet, der bis heute existiert und an dem verschiedene queere Initiativen und Landespolitiker:innen teilnehmen. Im gleichen Jahr fand unter Beteiligung der Fraueninitiative der erste Christopher-Street-Day (CSD) in Magdeburg – und ganz Sachsen-Anhalt – statt.

Die große Wanduhr im Volksbad Buckau stammt noch aus Zeiten, in denen das Gebäude als Bad genutzt wurde.

Die Spuren der Vergangenheit des Gebäudes als öffentliches Bad für die Bewohner:innen des Arbeiterviertels Buckau lassen sich hingegen nur bei genauem Hinschauen erkennen. „An einem kleinen Fenster am Eingang mussten die Besucher:innen des Volksbades damals ihren Impfpass vorzeigen“, erklärt Jacqueline Brösicke. Im Gang gegenüber steht nun ein bunter Automat, an dem man sich zigarettenschachtelgroße Kunstwerke ziehen kann – eindeutig ein Einrichtungsgegenstand aus moderner Zeit. In den straßenseitigen Fenstern hängen durchsichtige Konterfeie bedeutender Vertreterinnen der Frauenbewegung, darunter die deutsche Linguistin Luise F. Pusch, die als Mutter der feministischen Sprachwissenschaft gilt und die Verwendung des generischen Femininums fordert, und die englische Komponistin Ethel Smyth, die den March of the Women, eine Hymne der englischen Frauenbewegung, komponiert hat. Eine große Wanduhr im Gang und ein Treppengeländer in dem bis Mitte der neunziger Jahre als Bücherei genutzten, vorderen Gebäudeteil sind noch im Originalzustand erhalten. Die Wände in einem Backstage-Raum sind mit unzähligen Konzertplakaten der letzten Jahre tapeziert.

Ein Treppengeländer in dem bis Mitte der neunziger Jahre als Bücherei genutzten, vorderen Gebäudeteil des Volksbades Buckau ist noch im Originalzustand erhalten.

Im Volksbad Buckau wird nicht mehr gebadet, sondern getöpfert, gesungen und gefeiert

Während Jacqueline Brösicke von Raum zu Raum geht, trudeln im Minutenabstand ein Dutzend Frauen im Empfangsbereich ein. Einige von Ihnen nehmen kurz auf den Vintage-Sofas im lila Café Platz, um miteinander zu plaudern, andere steigen direkt die Treppen zum Keller hinab. In Kürze beginnen im Konzertsaal die Chorprobe des Magdeburger Volkschors und im Souterrain der Töpferkurs der Dienstagsgruppe des Vereins Figur und Topf e.V. in der Keramikwerkstatt. Ein festgelegtes Programm haben die Töpferinnen nicht, verraten Anita Kroschel und Christiane Teßmer: „Jede töpfert einfach, was sie töpfern mag.“ In den Glasvitrinen im Keller stehen Schüsseln, Schalen, Stövchen, kleine Statuetten und Teelichthalter. Heute bleibt der Brennofen aus, denn die Frauen feiern den Geburtstag eines Vereinsmitglieds. „Wir mögen uns eben sehr“, ruft eine von ihnen in das fröhliche Kaffeekränzchen. Kein Wunder: Einige der Frauen besuchen die Töpfergruppe schon seit mehr als zwanzig Jahren. Das Volksbad Buckau ist heute ein eklektisches Haus, das seine wechselhafte Geschichte und unterschiedlichen Nutzungen nicht versteckt. Auch die Nachbarschaft hat sich – nicht zuletzt dank großangelegter Sanierungsprogramme – stark verändert. Das einstige Industrie- und Elendsviertel Buckau hat sich seit der Jahrtausendwende zu einem der begehrtesten Szeneviertel der Landeshauptstadt gemausert.

Fröhliches Kaffeekränzchen: Die Frauen des Figur und Topf e.V. treffen sich im Souterrain des Volksbad Buckau in Magdeburg.

Die Frauen des Figur und Topf e.V. töpfern Schüsseln, Schalen, Stövchen und Teelichthalter.

Dem Salzwedeler Badehaus stehen die größten Umbauarbeiten indes noch bevor: Mit 30.000 Euro förderte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz im vergangenen Jahr die Sanierung der Westfassade. Aus der Förderung für Kulturdenkmäler des Landes Sachsen-Anhalt wurde die neue Bodenplatte finanziert, denn der Vorbesitzer hatte rund 80 Zentimeter Untergrund abgetragen, bevor er das Gebäude an Alice Bondeur und Bianka Niemeyer verkauft hat. Außerdem fließen Mittel aus den Städtebauförderprogramm Förderung des Wachstums und der nachhaltigen Erneuerung in die Wiederherrichtung des Gebäudes. Rund eine halbe Million werden die beiden für die Sanierung des Badehauses aufbringen müssen – trotz der großzügigen Fördermittel müssen sie in Vorleistung gehen, um ihren enggesteckten Zeitplan einzuhalten: „Ende dieses Jahres wollen wir mit der Sanierung fertig sein“, kündigt Bianka Niemeyer an, „um dann hoffentlich Anfang 2025 zu eröffnen.“

Die Bauarbeiten am Salzwedeler Badehaus sind in vollem Gange. Anfang 2025 wollen die beiden Frauen eröffnen.

Außen Schnörkel, innen klare Kante

Während die bisherigen Bauarbeiten vor allem im Innern oder auf der nicht öffentlich einsehbaren Westseite stattfanden, werden die nächsten Baufortschritte größtenteils unter den neugierigen Augen der Salzwedeler Öffentlichkeit stattfinden. „Das fertige Badehaus wird oxidrot“, offenbart Alice Bondeur. Sie sei selbst anfangs etwas schockiert gewesen von dem Ergebnis einer Befunduntersuchung zur ursprünglichen Farbgestaltung des Badehauses. Der Geschichte des Baudenkmals fühlen sie sich in dem Punkt aber verpflichtet, auch wenn der Innenausbau modernsten Standards entsprechend wird: „Das Badehaus bekommt neue Fenster, neue Türen, eine Fußbodenheizung, einen Kaminofen und soll per Wärmepumpe beheizt werden“, zählt Alice Bondeur die bevorstehenden Modernisierungsmaßnahmen auf. Während sie jede historische Holzschnitzerei und Ornamentik an der Außenfassade bewahren, setzen sie im Gebäude auf den bewussten Bruch mit der Geschichte: „Der Stil im Inneren wird eher industrial“, verrät die Architektin – klare Kante und unverputztes Mauerwerk, statt Schnörkel und Blümchentapete.

Im Inneren soll das Salzwedeler Badehaus nach dem Umbau einen eher industriellen Look bekommen…

… aber an der Außenfassade des Salzwedeler Badehauses wollen die Architektinnen jede historische Holzschnitzerei und Ornamentik bewahren.

Mehrere geräumige Arbeitsplätze, sowie ein großer Besprechungsraum werden auf den 120 Quadratmetern und zwei Geschossen entstehen. Freigelegte Sichtbalken im Fachwerk sollen für eine offene Raumgestaltung sorgen. An den wenigen Stellen, wo die Gebäudearchitektur ihre Geschichte als Badehaus verrät – etwa bei den Hauseinführungen der früheren Wasserleitungen oder der wahrscheinlichen Lage eines früheren Schreitbeckens – bleiben diese auch im Inneren erhalten. „Es gibt allerdings keine Aufzeichnungen darüber, wie es hier früher im Gebäudeinneren ausgesehen hat“, merken die beiden Unternehmerinnen an. Ein verheerender Brand, der 1895 im Salzwedeler Rathaus wütete, hat viele Dokumente vernichtet. Alice Bondeur vermutet aber, dass das Badehaus wahrscheinlich seit jeher ein einfacher Funktionsbau gewesen sei und der Erbauer bei der Inneneinrichtung weitgehend auf Schmuck und Zierde verzichtet habe.

So sollen die Fassaden des Badehauses einmal aussehen: oxidrot – das hat eine Farbbefunduntersuchung ergeben.

Auch ohne Waschzuber und Wannen üben die beiden Bäder in Salzwedel und Magdeburg weiterhin eine große Anziehungskraft auf die jeweilige Stadtbevölkerung aus. Die Prämissen und Bedürfnisse in der Umgebung der Badehäuser sind heute andere als zur Zeit ihrer Erbauung im 19. Jahrhundert. Das Volksbad Buckau hat sich in den letzten Jahren zu einem Treffpunkt für Frauen, die queere Community und das umliegende Viertel Buckau gemausert, das seinerseits sein Image als schmuddeliges Industriegebiet ablegen konnte. In der Altmark erwacht das Salzwedeler Badehaus zwar gerade erst wieder aus der Vergessenheit – aber den beiden Frauen, die sich der aufwendigen Sanierung angenommen haben, fliegen schon jetzt die Herzen der Salzwedeler:innen zu. Dass in das Gebäude, in dem bis zur Wende ein Tischlereibetrieb ansässig war, nun ein Architektur- und Planungsbüro einzieht, steht sinnbildlich für Salzwedels Wandel zum Kreativstandort auf dem Land. Ähnlich wie in Buckau haben sich in den letzten zehn Jahren unzählige kreative Dienstleistungsunternehmen und kulturelle Initiativen in der altmärkischen Kreisstadt – und insbesondere in dem Quartier am Neuperver Tor – gegründet. An beiden Orten sind tatkräftige Frauen für diese positive Entwicklung verantwortlich – weil sie den metaphorischen Sprung ins kalte Wasser gewagt haben.

Älteste Badestuben Sachsen-Anhalts

Die älteste erhaltene Badestube in Sachsen-Anhalt befindet sich im Blankenburger Ortsteil Derenburg. Das schlichte Fachwerkhaus von 1690 ist heute ein Wohnhaus. Zwei barocke Badehäuser sind in den Kurorten Bad Bibra (erbaut 1707) und Bad Lauchstädt (1776) erhalten. Im Harzgeröder Ortsteil Alexisbad steht die Villa Nova, ein klassizistisches Badehaus von 1817. Jünger als das Salzwedeler Badehaus sind die Badehäuser in Bad Dürrenberg (1846), Halle (1876), Schönebeck (1877), Ballenstedt (1906), Bad Kösen (1926) und Blankenburg (1936).