Zum Hauptinhalt springen

Artikel

De See schnackt platt

Ausgabe

Sachsen-Anhalt-Journal - „Wasser“ (Nr. 1, 2024)

Ausgabe kaufen

Themen

Alltagskulturen Bildung & Vermittlung Geschichte Mundarten Niederdeutsch

Die deutsche Sprache ist reich an Wörtern, welche im Laufe von Jahrhunderten aus anderen Sprachen übernommen worden sind. Manche empfinden heutige Sprecher:innen noch als Fremdwörter, andere sind so weit in Aussprache und Schreibung eingedeutscht, dass man sie nicht als solche erkennt.

Ob Latein, Griechisch, Französisch oder Englisch – die Vorlieben für die eine oder andere fremde Sprache wechselten je nach Zeitgeist, Mode und Bedeutung für die große oder kleine Welt. Auch die niederdeutsche Sprache spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Plattdeutsch war nicht nur bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit in der Nordhälfte Deutschlands, zur Zeit der Hanse war sie sogar eine mächtige nordeuropäische Geschäfts- und Verkehrssprache. Von London und Brügge im Westen über Bergen und Lübeck im Norden bis nach Nowgorod im Osten verhandelten vor allem Kaufleute – aber auch die Städte selbst – untereinander in mittelniederdeutscher Sprache. Viele ursprünglich maritime niederdeutsche Wörter, die heute zur hochdeutschen Standardsprache gehören, merkt man ihre niederdeutsche Herkunft nicht mehr an.

„Hänseln“

Wer heutzutage eine Person hänselt, macht sich über sie meist auf verletzende Weise lustig. Dabei war das Hänseln in der Bedeutung ,jemanden hansisch machen‘ ursprünglich ein Aufnahmeritual, dem sich vermutlich viele junge Männer unterziehen mussten, die im Mittelalter dem Kaufmannsund Städtebund der Hanse beitreten wollten. Zur Aufnahme in die Hanse musste ein gewisser Geldbetrag entrichtet und es mussten Mutproben – also etwa symbolische Schläge oder das Eintauchen in unangenehme Flüssigkeiten – ertragen werden. Beides wurde niederdeutsch hansen, hensen, hanseln oder hinseln genannt und hat mit einer gewandelten Bedeutung als hänseln schließlich Eingang in die Standardsprache gefunden. Das mittelniederdeutsche Wort hanse/hense, das damals den Verbund nordeuropäischer Städte und Kaufleute bezeichnete, wurde über mehrere Stufen aus der gotischen Sprache entlehnt. Dort bedeutete hansa ,Schar, Kohorte, Menge‘. Die heute wohl bekannteste Hansa ist die zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründete Deutsche Lufthansa, für die man sich wohl erhoffte, dass sie in den Lüften einen ähnlich großen Wirkungsradius entfalten könnte, wie die Hanse im Wasser.

„Abdriften“

Wer abdriftet, kommt vom Thema oder Kurs ab. Etwas zieht oder treibt denjenigen oder diejenige weg. Das zugrundliegende niederdeutsche Wort Drift bezeichnet eine durch Winde aus einer Richtung hervorgerufene Wasserbewegung oder das durch die Strömung bewirkte Treiben eines Schwimmkörpers oder Schiffes. Der seemännische Terminus kam ab dem späten 18. Jahrhundert langsam in allgemeinen Gebrauch, wobei er zunächst ,im Meer treiben‘ bezeichnete und schließlich auch (und überwiegend) im übertragenen Sinne verwendet wurde und wird. Der seemännische Ausdruck Drift hängt etymologisch mit der Trift, also dem Treiben von Vieh beziehungsweise der Viehweide, zusammen.

„Lake“

Bereits seit dem 14. Jahrhundert ist das niederdeutsche Wort mit der Bedeutung ,Salzwasser, Salzlösung‘ (zum Einlegen von Lebensmitteln) auch im hochdeutschen Sprachraum bekannt. Ursprünglich war es einfach nur die niederdeutsche Entsprechung zu hochdeutsch Lache ,flache Pfütze‘. Mit der Fischkonservierung im Norden durch die Verwendung von Salzbrühe fand der allmähliche Bedeutungswandel von ,Pfütze, flacher See‘ zu ,Salzlösung‘ statt. Heute steht wohl ab und an Hering in Salzlake auf dem Einkaufszettel.

„Auftakeln“

In der mittelniederdeutschen seemännischen Fachsprache bedeutete das Wort takel ,die Schiffsausrüstung, das Tauwerk und Hebezeug‘. Takelte man ein Schiff auf, wurde dementsprechend ein Schiff mit Takelwerk versehen. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird auftakeln auch übertragen für ,sich unfein, geschmacklos herausputzen, übertrieben und aufdringlich kleiden‘ gebraucht.

„Entern“

Ursprünglich bedeutete das niederdeutsche Verb entern ,ein feindliches Schiff ersteigen und erobern‘. Ins Hochdeutsche ist dieser seemännische Ausdruck bereits im 17. Jahrhundert eingewandert und seit dem 18. Jahrhundert ist die Bedeutung ,etwas erklettern, erstürmen, in Besitz nehmen‘ allgemein verbreitet.

„Boje“

Als Bezeichnung für ein ,verankertes schwimmendes Signalzeichen für die Schifffahrt‘ ist dieses Wort im 16. Jahrhundert zuerst in der niederdeutschen Seemannsprache belegt. Wo es herkommt, ist unklar – womöglich steckt eine Entlehnung aus dem Altfranzösischen dahinter. Die Heulboje stellt eine Boje mit eingebauter Sirene dar, die durch Wind und Seegang zum Tönen gebracht wird. Heute wird dieses Wort in der Alltagssprache auch im übertragenen Sinne (fern vom Meer) für eine:n laute:n, aber schlechte:n Sänger: in oder aber auch für eine Person, die schnell zum Weinen neigt, verwendet.

„Ufer“

Das mittelniederdeutsche Wort over als Bezeichnung für die ,Begrenzung eines Gewässers, einer Küste oder eines Strandes‘ wurde noch bis ins 16. Jahrhundert hinein nur im Norden gebraucht (sonst Gestade) und erst vor allem durch Martin Luther, Hans Sachs und Johann Fischart geläufig. Heute wird das Verb ausufern auch im übertragenen Sinne ,ein bestimmtes Maß überschreiten, ausarten‘ gebraucht. Welche Zuhörerin, welcher Zuhörer kennt nicht ausufernde Reden?

„Kabbeln“

Wer sich heutzutage mit seiner Partnerin oder seinem Partner kabbelt, vermutet wohl kaum, dass dieses meist harmlose Streiten oder Necken eine maritime Vergangenheit hat. Im Mittelniederdeutschen bedeutete kabbelen zum einen ,zanken oder laut schwatzen‘, zum anderen aber auch, dass sich das Meer ungleichmäßig bewegt, weil mehrere Strömungen aus unter schiedlichen Richtungen aufeinandertreffen. Das Wort kabbeln war also auch ein in der Seefahrt gebräuchliches Fachwort, welches bereits im 19. Jahrhundert dann auch im hochdeutschen Sprachraum in der Alltagssprache gebraucht wurde.